Roman - Dana Vowinckel: "Gewässer im Ziplock"
Wer diesen Roman noch nicht gelesen hat, kann sich auf die dritte Auflage freuen, denn die ersten beiden sind schon ausverkauft: Die Berliner Autorin Dana Vowinckel hat für ihr Debüt „Gewässer im Ziplock“ bei Suhrkamp Nova schon einige Preise bekommen, jüngst den renommierten Mara-Cassens-Preis vom Literaturhaus Hamburg.
„Gewässer im Ziplock“
Ziplock – das sind die durchsichtigen Beutel, in die man auf Flügen im Handgepäck Cremes oder Zahnpasta packen muss. Dana Vowinckels Romanheldin, die 15 jährige Margarita, muss in diesem Sommer viel durch die Welt fliegen – zu den Großeltern nach Chicago, zu ihrer Mutter nach Jerusalem, zu ihrem Vater nach Berlin. Sie spricht drei Sprachen: Deutsch, weil sie in Berlin aufgewachsen ist; alttestamentliches Hebräisch, weil ihr Vater Kantor in der Synagoge Rykestraße ist; und Englisch, weil sie sich auch diesen Sommer zuerst bei ihren Großeltern in Chicago langweilt. Aber sie ist eben 15 – und schleppt in ihrem Ziplock ein ganzes Meer an Gefühlen, Sehnsüchten, Ängsten mit. Das ist vielleicht mit „Gewässer im Ziplock“ gemeint, der – abgesehen von diesem rätselhaften Titel – bester Lesestoff ist.
Tochter, Vater, Mutter
Dana Vowinckel wechselt gekonnt zwischen zwei Erzählerperspektiven hin- und her: Der von Margarita und der von Avi, ihrem Vater, dem Kantor, den es aus Israel nach Berlin verschlagen hat. Es ist ein bewährtes literarisches Spannungsmittel, das die 28jährige Autorin meisterhaft beherrscht. Sie erzählt auktorial, als würden sich Vater und Tochter bei allem, was sie tun oder denken, selbst beobachten.
Vowinckel schildert Avis Perspektive mindestens so überzeugend wie die von Margarita: Seine tief verletzte Liebe zu Margaritas Mutter Marsha, einer Amerikanerin, die mit ihm nach Deutschland gegangen war, zuerst nach Hannover, es dort aber nicht aushielt; die Mann und Kleinkind verlassen hat – so jedenfalls wurde es Margarita immer erzählt.
Nun meldet sich Marsha nach all den Jahren aus einem Forschungssemester in Jerusalem und lädt Margarita zu einer Reise durch Israel ein. Margarita, die sich bei den Großeltern in Chicago langweilt, lässt sich auf das Wagnis ein. Es wird eine herausfordernde, überfordernde Reise; in ein Land vor dem 7. Oktober, dessen innere Zerrissenheit gleichwohl spürbar wird. Vowinckel zeigt wunderbar lebensechte, schrecklich komplizierte Charaktere, die an sich selber leiden, die es gut meinen, aber auch sehr eigensinnig sind.
Weibliches Begehren
Dana Vowinckels Figuren haben Kopf und Körper. Wo wurde je so offen und ungeschönt über junges weibliches Begehren geschrieben? Das Begehren lebt wie ein fremdes, wildes Tier in Margarita. Das kann sich auf die langweiligsten Jogginghosentypen richten, von denen Margarita viel mehr erwartet, als sie geben können. Auf dem Flug nach Tel Aviv lernt sie Noam kennen und drängt sich ihm Tage später bis zum Fremdschämen auf. Was dann an ihrem Körper von der Hitze, Schweiß und Sand hängenbleibt, nimmt surreale und zugleich witzige Dimensionen an. Hier wird jugendliches Begehren nicht romantisiert; es ist so unzähmbar, schön und schrecklich wie das Leben selbst.
Judentum heute
Dieser Roman öffnet Türen, etwa die der Synagoge Rykestraße im Berliner Prenzlauer Berg. Der Gesang, das Gebet geben Vater und Tochter ein Zuhause, das sie überall begleitet. Das Buch kann auch das Herz öffnen, Verständnis und Nachsicht schenken für so merkwürdige Sachen wie Familie, Elternschaft, Jugend und den ersten Sex.
Natascha Freundel, rbbKultur