Roman - C Pam Zhang: "Wo Milch und Honig fließen"
In ihrem international erfolgreichen Debut "Wieviel von diesen Hügeln ist Gold“ hat die Schriftstellerin C Pam Zhang zurück in die Geschichte Nordamerikas geschaut, in die Zeit des Goldrausches. Jetzt hat sie sich der Zukunft zugewandt.
"Wo Milch und Honig fließen“ könnte man einen Klimaroman nennen, oder auch ein dystopisches Szenario, in dem Zhang die Folgen unseres "vergiftetes Erbes“ auf "diesem smogverseuchten Scheißplaneten“ durchspielt. Der Titel experimentiert mit dem Bild des gelobten Landes, bzw. zunächst mit dessen Gegenteil: Milch und Honig fließen schon lange nicht mehr in der Welt, von der Zhang erzählt. Saftiges Weideland, Blumen, Milchkühe und Bienen sind Vergangenheit, eine Smogwolke hat sich weltweit vor die Sonne geschoben und alles darunter verdunkelt. Nichts wächst mehr, die Tiere sterben aus, man muss sich von einem grauen, geschmacklosen Mungoprotein-Soja-Algenmehl ernähren.
Ein Berg über dem Smog
Die Ich-Erzählerin, eine amerikanisch-chinesische Köchin Ende 20, gehört zur sogenannten „Generation Eintagsfliege“, einer Generation, der ein kürzeres Leben prophezeit wird als den vorhergehenden. Zu Beginn lebt sie in London – in einer Welt ohne frische Zutaten ist sie als Köchin jedoch fast überflüssig: "Das Wort Chefköchin hatte seine Bedeutung verloren, genau wie Glück, frisch, bald.“ Seit drei Jahren hat sie keinen Salat und keine Erdbeere mehr geschmeckt, und so bewirbt sie sich auf einen dubiosen Job, "weil ich alles getan hätte für einen letzten Bissen Grün“. Eine Forschungsgemeinschaft auf einem Berg an der italienisch-französischen Grenze, die an der Entwicklung von resistenten Pflanzen forscht, sucht eine Privatköchin.
Dieser Berg, abgeschieden vom Rest der Welt, ist einer der wenigen Orte auf der Welt, der buchstäblich über dem Smog steht. Eine Art Idylle mit blauem Himmel, klarer Luft und Licht. Und einer plötzlichen Fülle an Lebensmitteln: Endlose Mengen an Fleisch, Fisch, Wein und Gemüse stehen der Köchin zur Verfügung, um anspruchsvolle Menüs zu kochen - für ihren Auftraggeber, dessen erwachsener Tochter und die potentiellen Investoren, die das Biodiversitätsprojekt finanzieren sollen.
Der Geschmack der Kindheit
Mit der Tochter, einer Forscherin und Genetikerin, freundet sie sich an, sie ist es auch, die der Köchin die verborgenen Räume im Inneren des Berges zeigt: riesige Kühlräume, in denen Tiere gehalten und gezüchtet werden, Kaninchen, Fasane, Ziegen, Affen, Tiger. Räume, in denen die Forscher Gott spielen bei der Selektion der Arten und gleichzeitig Mengen an Lebensmitteln verwalten. Lebensmittel, die emotional hoch aufgeladen sind, als "Weg in die Vergangenheit". Wenn die Köchin für die Gäste kocht, triggert sie ihre Erinnerung. Der Geschmack von Gerichten ihrer Kindheit lässt sie weich und redselig werden, regelmäßig weinen sie sich bei der Köchin aus und lösen aus "der Brust (…) den weichen, feuchten Muskel ihrer größten Sehnsucht, ihrer größten Träume“.
Die Köchin selbst leidet unter Appetitlosigkeit und magert immer weiter ab. Die jahrelange Mangelernährung hat ihre Geschmacksnerven gelähmt. Zhang hat ihren Roman mit einer starken, sinnlichen Symbolkraft angereichert: Hunger und Appetit, Lust auf Leben, Körperlichkeit und Leidenschaft. Im Laufe des Romans erwacht jedoch auch der Appetit der Köchin wieder, Appetit auf Essen, Überleben, Sinnlichkeit. "Wo Milch und Honig fließen” ist auch ein Roman über eine Frau, die den Genuss wiederentdeckt.
Üppig auf allen Ebenen
Schon früh ist klar: Eine echte Idylle ist diese Berg-Enklave nicht. Der Boss ist ein Tyrann, ein gestörter Autokrat, der von der Köchin mehr verlangt als nur zu kochen: Sie soll Stück für Stück in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen, ein abgekartetes Spiel, um möglichst viele reiche Investoren zu gewinnen.
Der Erzählerin kommt man dabei allerdings nicht nah, sie bleibt merkwürdig emotionslos, selbst als sie eine Liebesbeziehung beginnt. Man liest dieses Buch nicht atemlos, weil man sich mit der Köchin identifiziert, weil einem ihr Schicksal, ihr Werdegang ans Herz gegangen ist. Die Spannung stellt sich aus anderen Gründen ein: Man möchte wissen, wann die scheinbare Idylle der überwachten Bergwelt hochgeht. Eine gewisse Lust am Ekel und am Grausen schwingt auch mit: unten die hungernden Menschen im Rest der Welt, oben die dekadente Üppigkeit, das Fressen bei den Banketts. Über allem steht auch die Frage, wie nah wir selbst so einer Klimakatastrophe sind. Wie selbstverständlich sind der blaue Himmel, grüne Pflanzen, frisches Obst und Gemüse?
Ein Fest für die Sinne
C Pam Zhang hat einen auf allen Ebenen üppigen Roman geschrieben. Üppig in der Symbolik, üppig in zahlreichen Bildern und Vergleichen, mit einer kunstvollen, opulenten Sprache, zum Teil genauso überladen wie die Teller, die die Köchin den Gästen serviert. Das geht an einigen Stellen auch gründlich schief, wenn es zum Beispiel heißt "an den ausgetrockneten Rändern meiner Seele glitzerte Wasser“ oder wenn sich die "Lungen“ der Erzählerin mit einer "schwarzen, harten Trostlosigkeit“ füllen. An anderen Stellen dagegen zieht einen gerade diese Überladenheit in den Bann, viele Bilder sitzen, sind überraschend, innovativ und hochliterarisch.
Zhang arbeitet souverän mit Symbolik und Spannungsbögen und mit Gegensatzpaaren wie Licht und Schatten, Üppigkeit und Kargheit, Hunger und Appetitlosigkeit. Und für alle Gourmets und Hobbyköche ist der Roman mit den detaillierten Beschreibungen von haute-cuisine-Gerichten und extravaganten Lebensmitteln ohnehin ein Fest für die Sinne.
Ein ungeheuerlicher, phantasievoller, fast hypnotisierender Roman, der eine dauerhaft hochaktuelle ethische und soziologische Frage stellt: Was tun Menschen in Zeiten von Dürre, Widrigkeiten und Knappheit? Wer gehört zu den Privilegierten und warum, und wie weit ist man bereit zu gehen, um zu überleben?
Anne-Dore Krohn, rbbKultur