Toni Morrsion: Sehr blaue Augen © Rowohlt
Bild: Rowohlt

Roman - Toni Morrison: "Sehr blaue Augen"

Bewertung:

Toni Morrison zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Geboren wurde sie 1931 in Lorain/Ohio. Dort spielt auch der Roman "Sehr blaue Augen", mit dem die Autorin 1970 als Erzählerin debütierte. Es folgten "Solomons Lied", "Menschenkind" und 1993 der Literaturnobelpreis. Barack Obama zeichnete sie 2012 mit der "Presidential Medal of Freedom" aus. Ihre Bücher, die sich mit den verheerenden Auswirkungen des Rassismus beschäftigen, haben nichts an Aktualität verloren. Jetzt werden einige der frühen Werke von Tanja Handels neu ins Deutsche übersetzt, auch "Sehr blaue Augen" - der Roman, mit dem alles begann.

Die alte Übersetzung von "Sehr blaue Augen" hatte bereits Patina angesetzt hat und sich sprachlich und politisch auf Pfaden bewegt, die heute als verletzend gelten. Eine angemessene Übersetzung ist schwierig, weil Toni Morrison, um literarisch die zerstörerische Dialektik des von der weißen Majorität geprägten und von vielen Schwarzen reproduzierten Rassismus aufzuzeigen, in ihrem Roman bewusst eine rassistische und diskriminierende Sprache verwendet.

Bravouröse Neuübersetzung

Die neue Übersetzung orientiert sich zwar eng am Original: "Da bestimmte Begriffe im Deutschen anders konnotiert sind oder gar keine Entsprechung haben", heißt es in einer "Editorischen Notiz", "werden das N-Wort und andere rassistische Ausdrücke bewusst auf Englisch belassen und ausgeschrieben. Das N-Wort", heißt es weiter, "sollte von Nichtschwarzen Menschen aus Respekt nicht vorgelesen oder reproduziert werden. Schwarz wird als Selbstbezeichnung und Beschreibung eines Erfahrungshorizonts durchgängig großgeschrieben."

Tanja Handels bewegt sich also auf politisch und sprachlich vermintem Terrain. Aber sie löst die ausgelegten Fallstricke mit Bravour und präsentiert die erste angemessene Übersetzung eines Romans, der schon beim Erscheinen umstritten war und bis heute die Gemüter erregt, weil Toni Morrison wie mit einem scharfen Messer in den Wunden des Rassismus herumstochert und eine blutige Spur sozialer Verwerfungen, gewalttätiger Exzesse und sprachlicher Entgleisungen hinterlässt. Sie will nichts erklären oder verzeihen, sondern zeigt gnadenlos die alles umfassende und alles zerfressende Verrohung in einer rassistischen Gesellschaft.

Verklärte Welt, verzerrte Wirklichkeit

Der Roman spielt weitergehend im Milieu armer, sozial abgehängter Schwarzer. Weiße kommen nur als Arbeitgeber vor - und als Traumbilder von Reichtum und Schönheit, als Vision einer verklärten Welt, die sich als Wunsch tief ins Herz von manchen Schwarzen gegraben hat und ihre Wirklichkeit verzerrt. Die Sprache der Protagonisten ist sexistisch, der ausführlich beschriebene Sex gewalttätig. In der auf Ausbeutung und Rassismus basierenden Gesellschaft sind auch Schwarze vom Virus des Bösen befallen. Es gibt unter ihnen Kriminelle und arbeitslose Alkoholiker, die ihre Frauen verprügeln und, wie Cholly Breedlove, die eigene Tochter vergewaltigen und schwängern: Pecola ist elf, als ihr Vater sie missbraucht. Das Baby wird bei der Geburt sterben, der Vater in der Gosse enden, das Mädchen dem Wahnsinn verfallen.

Der gegen jede sprachliche Konvention verstoßende und jeden politischen Kompromiss verweigernde Roman wurde in den prüden USA mehrfach auf den Index gesetzt und aus Schulbibliotheken entfernt.

Verstörend

Die Erzählkomposition ist ziemlich kühn: Es gibt mehrere Erzählstimmen, die wichtigste ist noch ein Kind, die neunjährige Claudia Mac Teer (die im selben Alter ist wie Toni Morrison zur Zeit der Handlung, 1940/41), sie schildert aus ihrer Sicht, was sie sieht, denkt, erlebt in diesem Jahr, in dem ihr Nachbar, Cholly Breedlove, im Suff sein eigenes Haus abfackelt, ins Gefängnis muss und, kaum wieder entlassen, seine eigene Tochter, Pecola, missbraucht und schwängert.

Pecola kommt eine Zeitlang bei den Mac Teers unter. Claudia hat Mitleid mit dem geschundenen Mädchen. Mit ihrer Schwester Frieda pflanzt Claudia Samen von Ringelblumen in die Erde und ist überzeugt, dass alles gut werden und das Baby gesund zur Welt kommen kann, wenn nur die Saat aufgeht: Aber sie geht nicht auf, und nichts wird gut. Deshalb fühlen sich die Schwestern schuldig am Unglück von Pecola.

Zwischen die naiv-kindlichen Erzählungen von Claudia sind Kapitel geschoben, in denen ein Erzählstimmen die Biografien einiger Protagonisten entfalten: den Werdegang von Cholly vom zupackenden Rebellen zum versoffenen Nichtsnutz; die Geschichte von Pecolas Mutter, Geraldine, die sich als Haushälterin bei einer weißen Familie rührend um deren Sohn kümmert, sich in eine weiße Traumwelt fantasiert, während sie ihre eigene Schwarze Familie vernachlässigt.

Auch die Lebensgeschichte eines pädophilen Predigers, der sich als Zauberer und Wunderheiler ausgibt, wird aufgeblättert. Das alles ist ziemlich verwirrend und fordert dem Leser einiges ab. Verstörend ist auch, dass schon nach ein, zwei Seiten im Prolog alles gesagt ist, Claudia die Protagonisten vorgestellt, eine Zusammenfassung der Handlung gegeben hat und feststellt: "Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen - nur noch, warum. Aber weil es mit dem Warum so eine schwierige Sache ist, flüchtet man sich besser ins Wie."

Ein erschütternd-großartiger Roman

Der Titel "Sehr blaue Augen" zielt ins Zentrum des Problems, das Toni Morrison immer wieder umkreist: die Verinnerlichung Rassismus, die Anpassung an Werte und Moral der Weißen, die Selbstbehinderung der Schwarzen auf dem Weg in die Freiheit. Pecola, das Schwarze Mädchen, liebt die weiße Traumfabrik Hollywood, verehrt den weißen Kinderstar Shirley Temple und möchte so aussehen wie ihre weißen Puppen, blonde Haaren haben und sehr blaue Augen. Dafür ist sie sogar bereit, einem pädophilen Prediger zu folgen, ein Opfer zu bringen und einen Hund zu vergiften. Das englische Original lautet übrigens "The Bluest Eye", also etwa: "Das blaueste Auge", aber das würde im Deutschen nicht klingen und dem erschütternd-großartigen Roman, der es dem Leser überlässt, die vielen Puzzleteile zu sortieren und zu bewerten, nicht gerecht werden.

Frank Dietschreit, rbbKultur