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Akademie der Künste - "Halt die Ohren steif! Gundula Schulze Eldowy und Robert Frank"

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Der 2019 gestorbene Fotograf Robert Frank war Jahrgang 1924, die ostdeutsche Fotografin Gundula Schulze Eldowy wurde 30 Jahre später geboren. Was die beiden zusammengebracht hat, was sie verbindet – davon erzählt jetzt eine Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz.

"Halt die Ohren steif!", mit diesem Spruch ermunterte Robert Frank die aus Erfurt stammende Fotografin Gundula Schulze, heute Gundula Schulze Eldowy: Sie ist eine der Fotografinnen, die bereits in der DDR für Aufsehen oder besser: Hinsehen sorgten. In den 1970er Jahren mit ihren gelegentlich schockierenden, aber auch sehr humorvollen Bildern von den Straßen und aus den Wohnzimmern Ostberlins.

Und Robert Frank? The Americans: Die Serie des amerikanisch-schweizerischen Fotografen Ende der 50er Jahre ging in die Fotografie-Geschichte ein. Mit seiner Streetphotography, die US-amerikanischen Glanz und Gloria in Frage stellte.

Tamerlan

Die frühen Fotos von Gundula Schulze waren es, die Robert Frank beeindruckt hatten: z. B. die Schwarz-Weiß-Porträtserie Tamerlan. Tamerlan, eigentlich Elsbeth Kördel, einst schön und aus wohlhabender Familie, später alt und einsam, verwahrlost, versehrt, am Ende Bein-amputiert. Ein großes Foto von ihr hängt schwebend mitten im Raum des Entrées zur Ausstellung.

Gundula Schulze begleitete die alte Frau in Prenzlauer Berg seit Ende der 70er Jahre mit ihrer Kamera bis in die 80er. Mit ihren schonungslosen, schockierenden Bildern hat sie die Frau unvergessen gemacht.

Halt die Ohren steif!

"Du hast so viel Sympathie fürs Leben und Leiden. Für die Menschen, welche vor Dir stehen und die ahnen, dass diese Photos, dieser Moment übrig bleiben wird – in der Mitte von all dem Chaos, mit dem alle leben."

schrieb Robert Frank an Gundula Schulze am 1. Januar 1987 aus New York. Zwei Jahre zuvor hatten sich die beiden in Leipzig kennengelernt, wo Gundula Schulze studierte. Heute erinnert sie sich an dieses spontane Treffen so:

"Ich bekam ein Telegramm von meinem Kollegen Rudolf Schäfer im Juni 1985: 'Komm bitte, Robert Frank ist da.' Da habe ich in der Eile noch ein paar Portfolios eingesteckt. Und als ich ankam, war die ganze Fotografengilde aus Berlin vertreten (Arno Fischer, Sibylle Bergemann, Michael Schmidt, die auf einem anderen Foto um Robert Frank versammelt sind) und alle zeigten dem hohen Gast ihre Bilder. Ich war dann zuletzt dran und er sprach nicht viel, war aber begeistert und lud mich gleich nach New York ein."

Ein Foto zeigt die junge Gundula Schulze im Sommerkleid auf dem Boden hockend neben Robert Frank, der dann mit ihr eine Korrespondenz begann. Die Briefe mussten natürlich geschmuggelt werden. Und doch flog die Kommunikation eines Tages auf, die Fotografin wurde bespitzelt. Zeugnisse dafür liegen in einer Vitrine, wie auch ein paar Briefe und der Zettel, auf dem Robert Frank die 30 Jahre jüngere Fotografin ermunterte: "Keep a stiff upper lip – übersetzt: Halt die Ohren steif!"

Seelenverwandtschaft

Im Jahr 2018 zeigte die Fotokünstlerin eine Ausstellung unter diesem Titel in ihrer Geburtsstadt Erfurt. Hier in der Akademie der Künste am Pariser Platz ist sie erweitert um Fotos von Robert Frank, z. B. aus der Serie The Americans und weiteren Arbeiten aus dem Museum Folkwang Essen. Robert Frank prägte mit seinen ungewöhnlichen Fotos von den Straßen Amerikas einen neuen Stil, mit Unschärfen, oder aus der Hüfte geschossenen Bildern. Er war ein Einzelgänger, wie die 30 Jahre jüngere Gundula Schulze Eldowy. Sie erinnert sich an ihn als einen Seelenverwandten:

"Er ist auch ein Individualist. Uns ging es ja um Authentizität, Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit, Sinnlichkeit, Erotik, Freiheit … . Und es ist aber nicht so, dass Robert sich keiner Gruppe angeschlossen hat. Rudimentär schon, den Beatniks. Und ich hatte ja das Glück, noch einige der Beatniks in New York kennenzulernen. Neben Robert Frank: Peter Orlowski und Allen Ginsberg, die beide ein Paar waren."

... und von ihr in New York fotografiert wurden, sehr geheimnisvoll in einer Doppelbelichtung.

New York als Sprungbrett in die Welt

Dem Mauerfall sei es zu verdanken, dass sie in der DDR nicht in Haft kam, sagt Gundula Schulze Eldowy heute. 1990 reiste sie sofort nach New York, wo sie drei Jahre blieb, anfangs ein paar Wochen mit der Familie Frank lebte und fotografierte: Franks Augen im Rückspiegel, denn er chauffierte sie durch die ganze Stadt, Frank mit dessen Frau, der Bildhauerin June Leaf, den Sohn Pablo, der sich später das Leben nahm. Die Fotos zeugen von einer großen Nähe zwischen der jungen ostdeutschen Fotografin und der Familie Frank.

"Es ist ja so gewesen, dass Robert mich auch inspiriert hat. Ich war beeinflusst von der Straight Photography New York."

Damit meint sie die unmanipulierte Wiedergabe der Realität.
".… Die ersten Bilder, die ich dann in New York machte, sind auch noch in diesem Stil. Aber jedes Land und Ort haben einen anderen Geist…. Und ich habe den absorbiert, den Geist New Yorks und dann ist natürlich was ganz anderes dabei auch entstanden."

Gundula Schulze fotografiert auf den Straßen New Yorks schließlich in Farbe und sie experimentiert viel mit Doppelbelichtungen, mit Polaroid und Filmkamera. So entstehen minimalistisch kleine Fotos, die mitunter beschädigt, fragil wirken, aber auch opulent große.

Sie haben nicht mehr die schockierende, die humorvolle Wirkung ihrer frühen Bilder aus der DDR, dafür bekommen sie etwas traumwandlerisch Surreales: Goyas Frauenpaar leuchtet geheimnisvoll aus dem Abbild zweier junger Frauen, die mit großen Hüten und bunt geschmückt in die Kamera schauen. Gundula Schulze fängt die Bilderflut New Yorks in ihrer ganz eigenen Weise ein.

"Es sind immer bei mir verschiedene Ebenen. Ich bin ein sehr vielschichtiger Mensch und ich beleuchte die Welt und mich selbst von verschiedenen Seiten."

Die Ausstellung mit über 200 Bildern und Exponaten würdigt beide: Robert Frank, den Stil bildenden Fotografen und Filmemacher, und die sich immerzu wandelnde, weit reisende Fotografin Gundula Schulze Eldowy. Eldowy, ihr Zusatzname seit vielen Jahren heißt Licht. Das hat sie gesucht und gefunden in Japan und in Ägypten, dort selbst in den Gräbern der Pharaonen. Seit langem lebt sie in Peru – und manchmal in Berlin:

"Ich bleibe nie hier. Ich werde mein ganzes Leben weiterreisen und ganz sicher nach Peru, weil Peru ein so zauberhaftes und faszinierendes Land ist, dass ich selbst nach 23 Jahren immer noch nicht satt bin."

Michaela Gericke, rbbKultur

Akademie der Künste: Halt die Ohren steif