Drama | Berlinale Wettbewerb - "Des Teufels Bad"
Nachdem die meisten Filme des Wettbewerbs bisher sehr gegenwärtig waren - selbst dann, wenn sie wie Andreas Dresens "In Liebe, Eure Hilde" in der Vergangenheit des Nationalsozialismus spielten - taucht "Des Teufels Bad" tief in die Historie ein: mit einer wahren Geschichte, die sich 1750 im dörflichen Leben im österreichischen Hochland zugetragen hat. Der Titel bezieht sich auf ein Phänomen des 18. Jahrhunderts, demzufolge melancholische, depressive Menschen angeblich im "Bad des Teufels" gefangen seien.
Als Zuschauer wird man in das einfache, harte, fast mittelalterlich anmutende Leben in einer tief religiösen Dorfgemeinschaft versetzt. Die Menschen leben zwischen Wäldern, Sümpfen und einem Karpfensee in karg möblierten, düsteren Steinhäusern.
Gemälde auf Zelluloid
Malerisch-raue Szenerien wie eine milchig wirkende Wolkendecke, durch die ein paar Tannenspitzen ragen oder ein Wasserfall, der in vielen schmalen Strömen ins Tal tost, hat der Kameramann wie alte Gemälde auf Zelluloid gebannt. In dieser archaischen Welt passieren dann drastische Dinge: Gleich in der ersten Szene wird ein schreiendes Baby von der Mutter mit einem Rosenkranz behängt und in der kleinen Wiege in die schäumende Gischt des Wasserfalls gestürzt.
Auf diesen ersten Schock folgt ein zweiter: Die Frau läuft entschlossen durch die Landschaft bis zu einer schweren Tür, wo sie ihre Tat gesteht, dafür verurteilt und hingerichtet wird. Ihr malträtierter Körper wird öffentlich zur Schau gestellt, mit ihrem abgetrennten Kopf in einer Art Vogelkäfig daneben.
!["Des Teufels Bad" von Veronika Franz & Severin Fiala © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm "Des Teufels Bad" von Veronika Franz & Severin Fiala © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm](/content/dam/rbb/kul/rezensionen/film/2024/202406824_2.jpg.jpg/size=389x219.jpg)
Zunehmende Entfremdung
Nach diesem grausigen Prolog klinkt sich der Film in das Leben von Agnes ein: in ihre Hochzeit mit Wolf, die Vorwürfe der Schwiegermutter, das passive Verhalten ihrer eigenen Familie. In dieser streng religiösen Welt gibt es eng gesteckte Erwartungen, jeder Funken von Individualität wird erstickt, so wie Wolf die gesammelten und getrockneten Insekten und Schmetterlinge von Agnes achtlos ins Feuer wirft.
Anja Plaschg, die unter dem Namen Soap&Skin für den Soundtrack verpflichtet wurde, ist hier auch in ihrer ersten Hauptrolle vor der Kamera zu sehen. Eindrucksvoll vermittelt sie die immer stärker werdende Entfremdung von Agnes, das langsame Abgleiten in Depression und Wahnsinn und das Absterben aller Hoffnungen - unter anderem auch auf ein Kind, denn ihr offensichtlich homosexueller Mann verweigert sich ihren Bedürfnissen.
Schmerzhaft vermittelt der Film, wie die Menschen im Gefängnis religiöser Regeln zugrunde gehen, wie sie von Opfern zu Tätern werden: Menschen, die keinen anderen Ausweg sahen, provozierten ihren Tod durch Hinrichtung, indem sie zu Mördern, meistens an Kindern, wurden.
!["Des Teufels Bad" von Veronika Franz & Severin Fiala © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm "Des Teufels Bad" von Veronika Franz & Severin Fiala © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm](/content/dam/rbb/kul/rezensionen/film/2024/202406824_3.jpg.jpg/size=389x219.jpg)
Als Mörder zur Absolution
Was wie ein Horrorszenario klingt, war im 18. Jahrhundert in vielen Teilen Europas gängige Praxis, von der Severin Fiala und Veronika Franz durch den Podcast der amerikanischen Historikerin Kathy Stuart erfahren haben, die in diesem Zusammenhang von "Schlupflöchern" spricht: Die Opfer, meist Frauen, mussten zu Täterinnen werden, denn nur als Mörderinnen hatten sie die Möglichkeit, ihre Tat vor ihrem Tod zu bereuen und so kirchliche Absolution zu bekommen. Der ganze Film basiert auf Verhörprotokollen und Gerichtsakten, die der einzige Ort sind, an dem die Geschichten dieser unsichtbaren Frauen Spuren hinterlassen haben.
Severin Fiala und Veronika Franz wollten diesen vergessenen Frauen eine Stimme geben. Stellvertretend für rund 400 Fälle, die Kathy Stuart in jahrelanger Archivarbeit* dokumentiert hat, erzählen sie in ihrem Film die Geschichte von Agnes. Zugleich legt ihr wuchtiger Film, der bisweilen an Andreas Prochaskas "Das finstere Tal" erinnert, aber auch eine Brücke zur Gegenwart. Denn auch heute gibt es in vielen Ländern und Religionen der Welt unsichtbare Gefängnisse, denen sich die Gläubigen unterwerfen.
Anke Sterneborg, rbbKultur
* Kathy Stuart: "Suicide by Proxy in Early Modern Germany: Crime Sin and Salvation", 2023, Cham Switzerland: Palgrave Macmillan