Andrew Scott als Adam in einer Szene des Films "All Of Us Strangers" © picture alliance/ dpa/ Disney/ Chris Harris
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Drama - "All of Us Strangers"

Bewertung:

2015 lief im Berlinale Wettbewerb der Film "45 Years" von Andrew Haigh, über das Ende einer Ehe. Die beiden Hauptdarsteller Charlotte Rampling und Tom Courtney wurden damals mit silbernen Bären für besten Schauspielleistungen ausgezeichnet. Auch in seinem neuen Film "All of us Strangers" erzählt der britische Regisseur von einer komplizierten Beziehung, in diesem Fall zwischen zwei Männern, gespielt von Paul Mescal und Adam Scott, der einigen von Ihnen bekannt sein dürfte, aus der Serie Sherlock in der er Moriarty, die Nemesis des Meisterdetektivs spielte.

Geheimnisse in der Schwebe

Eine geheimnisvolle, fast gespenstische Stimmung liegt über den rätselhaften Bildern dieses Films, der in einem riesigen Londoner Wohnblock beginnt. Auf den ersten Blick scheint nur ein Mann hier zu leben, Adam, einst der erste Mann der Schöpfungsgeschichte, hier ist er ein Schriftsteller, der einsam grübelnd mit einer Schreibblockade ringt. Es ist unklar, warum das anonyme Wohnhochaus so leer ist: Sind die anderen Mieter noch nicht eingezogen oder schon ausgezogen? Ist er der erste oder der letzte Bewohner? Blendet er sie nur aus seiner Wahrnehmung aus oder sind sie wirklich nicht da? Und das sind nur die ersten von vielen Geheimnissen, die Andrew Haigh in diesem Film in der Schwebe hält.

Eine sanfte Liebesgeschichte unter Männern

Eines Abends klopft es an der Tür zu Adams traumverlorenem Leben. Ein 20 Jahre jüngerer Mann steht im Türrahmen mit einer Flasche Whiskey in der Hand und offensichtlich betrunken. Ganz zart entspinnt sich zwischen den beiden Männern eine wärmende Liebesgeschichte. Während Adam zurückhaltend und scheu eher bremst, geht der von Paul Mescal gespielte Harry deutlich forscher heran, offensichtlich ohne Zweifel, dass sein Gegenüber ebenfalls schwul ist. In Adams Wohnung nimmt Harry ein Familienfoto in die Hand, ein junges Paar mit einem etwa 10jährigen Jungen. Ob das seine Eltern seien fragt er, "Ja, sie sind gestorben, da war ich noch nicht mal zwölferwidert Adam. Man ahnt, hier sind lang verdrängte Erinnerungen im Spiel, ein Trauma, das Adams Leben überschattet, dem er nun schreibend auf den Grund gehen will.

All of Us Strangers © IMAGO / Landmark Media
All of Us Strangers | Bild: IMAGO / Landmark Media

Liebesgeschichte und Familiengeschichte

Parallel zur Liebesgeschichte in der Gegenwart öffnet sich ganz unmittelbar und gegenwärtig ein Fenster in die Vergangenheit: Adam unternimmt eine Reise mit dem Zug, einen nachdenklichen Spaziergang durch einen Vorort, bis er zögernd vor der Tür seines Elternhauses steht. Dieses Mal ist er außen, ihm wird die Tür geöffnet. Eine junge Frau freut sich staunend: "Unser Junge ist zurück. Unser Sohn, sieh dich an, du warst noch ein Kind, und jetzt bist du’s nicht mehr…“ In seinem minimalistisch vieldeutigen Spiel wirkt Andrew Scott mal wie ein kleiner staunender Junge und dann wieder - zusammen mit dem Zuschauer - wie ein irritierter Erwachsener.

Zeitreise – und Geistergeschichte

Die von Claire Foy und Jamie Bell gespielten Eltern wirken jünger als der heimgekehrte Sohn, aber alle reden miteinander als wären sie im Hier und Jetzt. Das wirkt ähnlich magisch, wie in Celine Sciammas Film "Petite Maman“, in dem ein Mädchen über die Zeiten hinweg eine Ferienfreundschaft mit dem Kind erlebt, das seine Mutter werden wird. Ein lang verlorener Sohn kehrt zurück, da drängen sich viele Fragen auf: Was ist passiert, in all den Jahren? Ob er denn Frau und Kinder habe, fragt die Mutter, und muss sich mit seinem Coming Out auseinandersetzen: “Du hattest immer Angst vor irgendwas, bist immer weggerannt, weißt du noch?“, erinnert sich die Mutter. „"ch war nie für dich da, wenn du geweint hast“ stellt reuig schluchzend der Vater fest. Natürlich war es in den Achtzigerjahren deutlich schwerer, sich zur Homosexualität zu bekennen. Die jungen Eltern sind in ihrer Zeitkapsel gefangen, bemühen sich aber liebevoll um Verständnis.

Romanverfilmung mit persönlicher Note

Der Film basiert auf einem Roman "Sommer mit Fremden“ von Taichi Yamada von 1987 und ist für Andrew Haigh zugleich hat die Geschichte sehr persönliche Aspekte: Die Szenen mit den Eltern hat er im eigenen Elternhaus gedreht. Eine somnambule Stimmung beherrscht den Film, der zwischen Geistergeschichte, Zeitreise und Drogenrausch oszilliert und bei allem Schmerz, aller Einsamkeit auch etwas sehr Tröstliches, Wärmendes, Traumhaftes hat.

Anke Sterneborg, rbbKultur