Doku | Berlinale Wettbewerb - "Architecton"
Stein oder Beton - aus welchem Material bauen wir unsere Häuser? Und was bedeutet das für unsere Zukunft? Viktor Kossakovskys Film "Architecton" ist eine dokumentarische Reise in die Welt der Baustoffe – poetisch, bildgewaltig und deutlich weniger spröde, als es das Thema erwarten lässt.
Jahrtausendelang hat der Mensch mit Stein gebaut – und viele dieser architektonischen Zeugnisse sind bis heute erhalten. Nun aber bauen wir mit Beton – und unsere Häuser halten durchschnittlich nur noch knapp 40 Jahre. Dieses Paradox untersucht Viktor Kossakovskys bildgewaltiges Filmessay "Architecton". Dabei führt uns die Reise an imposante Ausgrabungsstätten in Kleinasien und Griechenland genauso wie in erdbebenzerstörte Städte in der Türkei und in die kriegsverwüstete Ukraine.
Stein als zentrales Thema
Das zentrale Thema bildet dabei immer der Stein. Wohl selten hat ein Filmemacher so poetische Bilder für diesen Baustoff gefunden wie Kossakovsky. In gewaltigen Geröll-Lawinen wird er aus dem Berg gesprengt, anschließend abtransportiert, gemahlen, gewaschen und zu Beton weiterverarbeitet. Wie der Stein da in Superzeitlupe die Hänge hinabrollt, wie er auf dem Fließband strudelt und tanzt wie ein Wildbach, das ist sensationell und sinnlich zugleich.
Grundübel der Moderne
Bei diesen Bilder – kongenial vertont vom französischen Filmkomponisten Evgueni Galperine – könnte man fast vergessen, dass "Architecton" auch ein Anliegen hat. Ähnlich wie bei seinen vorangegangenen Berlinale-Filmen "Aquarela" (Panorama, 2018) und "Gunda" (Encounters, 2020) ist Viktor Kossakovsky auch diesmal wieder einem Grundübel der Moderne auf der Spur: Warum verbauen wir uns unsere eigene Zukunft? Warum lassen wir es zu, dass unsere Innenstädte mit hässlichen und billigen Hochhäusern zugebaut werden, die auch noch eine Gefahr für ihre Bewohner darstellen? Und wie ist es zu erklären in einer Welt, die zunehmend auf Nachhaltigkeit gepolt ist, dass die Zement-Produktion für 8 % des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist und für 38 % der weltweiten Verschmutzung?
Ein magischer Zirkel als Hoffnung für die Zukunft
Diese Fragen stellt der Filmemacher aber nur in der Pressekonferenz. Im Film selbst begnügt er sich mit wenigen Worten seines Protagonisten Michele De Lucchi. Der italienische Architekt und Stardesigner legt im Garten seines Hauses einen Kreis aus unbehauenen Granitsteinen an. Kein menschliches Wesen soll diesen magischen Zirkel in Zukunft mehr betreten, damit sich die Natur wenigstens ein kleines Stück Erde wieder zurückerobern kann. Vielleicht, so De Lucchis stille Hoffnung im Epilog des Films, könnten ja zukünftige Stadtplaner ähnlich verfahren, damit auch unsere Städte der Zukunft wieder lebenswerter werden.
Bildgewaltiges Filmessay
"Architecton" ist ein bildgewaltiges, poetisches Filmessay: Ein wunderbares Zusammenspiel von Bildern und Musik, bei dem man 90 Minuten lang gebannt auf die Leinwand schaut. Dass der Film viele Fragen aufwirft und nur wenige davon wirklich beantwortet, ist da durchaus zu verschmerzen.
Carsten Beyer, rbbKultur