Drama | Berlinale Wettbewerb - "A Different Man"
In Filmen wie "Go Down, Death!" und "Chained for Life" hat sich Aaron Schimberg immer wieder satirisch und provokativ mit Fragen von Identität und Diskriminierung auseinandergesetzt. "A Different Man" ist sein dritter Langspielfilm.
Der "andere Mann" dieses Films ist der vom Marvel-Star Sebastian Stan gespielte Edward, den der Zuschauer in der ersten Szene bei einem Filmdreh kennenlernt. Sein grotesk deformiertes Gesicht hält man zunächst für eine aufwendige Maske, doch bald stellt sich heraus, dass es die reale Folge der Erbkrankheit Neurofibromatose ist, die dazu führt, dass sein ganzes Gesicht von wulstigen Tumoren überlagert ist.
Gesicht oder Maske?
Edward lebt einsam und zurückgezogen, scheut den Kontakt mit Menschen, die vor seinem Anblick meist zurückschrecken. Einzige Ausnahme ist die neue Nachbarin Ingrid - gespielt von der mit "Der schlimmste Mensch der Welt" bekannt gewordenen Norwegerin Renate Reinsve in ihrer ersten englischsprachigen Rolle. Sie geht offen und unbefangen auf Edward zu, schreibt für ihn sogar eine Rolle in ihr erstes Theaterstück. Doch dann ermöglicht sein Arzt ihm eine Behandlung mit einem neuartigen experimentellen Medikament, das tatsächlich wundersam zur Heilung führt, aber nicht zum Glück.
Schein und Sein, Wahrnehmung und Wirklichkeit, Identität und Maske
Denn kaum ist Edward geheilt, taucht Oswald auf, ein Mann, der vom selben Gendefekt betroffen ist wie Edward, aber trotz seiner Einschränkungen eine charismatisch-charmante und selbstbewusste Ausstrahlung hat. Gespielt wird er von dem tatsächlich betroffenen Schauspieler und Aktivisten Adam Pearson, der hier zum zweiten Mal mit dem Regisseur zusammenarbeitet. Er übernimmt die Bühnenrolle, aus der Edward durch seinen Eingriff herausgewachsen ist. In der Geschwindigkeit, in der Ingrid dann neue Wendungen für das Stück erfindet, dreht sich auch das Karussell von Schein und Sein, Wahrnehmung und Wirklichkeit, Identität und Maske.
Wilder Mix aus Horror und Gesellschaftssatire
"A Different Man" ist eine wilde Kreuzung aus Horror und Satire, angereichert mit der unheimlichen Stimmung der frühen Filme von David Lynch, Darren Aronofsky oder David Cronenberg. Wenn sich Edward als Folge der Behandlung absterbende Fleischfetzen schleimig-blutig aus dem Gesicht pellt, ist das ein Zitat von Cronenbergs Body-Horror-Bildern.
Eine eigentümliche Atmosphäre breitet sich im Film aus, dessen seltsam künstliche Atmosphäre an die sterilen Studioszenerien aus den Filmen der 50er und 60er Jahre erinnert, aber ein bedrohliches Eigenleben entwickelt - beispielsweise in der Gestalt eines modrigen Schimmelflecks an der Decke, durch den stetig Wasser tropft und bald auch seltsame Gegenstände in die Wohnung fallen.
Ein Tanz mit Vorurteilen
Der Film fährt Schlitten mit Klischees auf und tanzt mit Vorurteilen. Satirisch überdreht zieht Schimberg die Schrauben immer noch ein bisschen weiter an und viele Fragen, die den Regisseur auch persönlich betreffen an den Zuschauer weiter: Aaron Schimberg wurde mit einer doppelten Gaumenspalte geboren und hat immer wieder erlebt, dass er vor allem über diese leichte Entstellung des Gesichts definiert wird.
Anke Sterneborg, rbbKultur