Die Debatte mit Donatella Di Cesare und Steffen Mau bei Philo.live! Moderation: Natascha Freundel -
Aufzeichnung vom Philosophie-Festival Philo.Live! am 29. Juni 2024 im Silent Green Kulturquartier in Kooperation mit dem Philosophie Magazin und phil.COLOGNE
"Wir leben im Hinblick auf Mobilität in einer global-feudalen Gesellschaft", erklärt der Soziologe Steffen Mau bei der Premiere des Philosophie-Festivals "Philo.live!". Mau hat erforscht, dass die Globalisierung nicht weniger, sondern mehr Grenzen erzeugt. Westliche Staatsbürger können sie meistens ohne Schwierigkeiten überwinden, aber rund 80 Prozent der Weltbevölkerung seien noch nie geflogen, so Mau.
Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare stellt unseren Begriff der "Nation" radikal in Frage: Als vehemente Kritikerin der italienischen Migrationspolitik ist sie mit anderen Intellektuellen schon zu einer Zielscheibe der Meloni-Regierung geworden. Während Mau argumentiert, dass Nationalstaaten auch Garanten für Rechtssicherheit sind, hält Di Cesare nationale wie internationale Flüchtlingsgesetze für veraltet. Die Migrationsdebatte sei "eine Heuchelei", um "Flüchtlingsströme zu verwalten". Heute fände "die Normalisierung des Leids, des Elends der Anderen" statt, aber auch "die Normalisierung unserer Gleichgültigkeit und Härte".
Donatella Di Cesare, geboren 1956 in Rom, ist Professorin für Theoretische Philosophie an der Sapienza Universität in Rom und eine der politisch engagiertesten Intellektuellen in Italien und Europa. Sie hat in Rom studiert und an den Universitäten Tübingen und Heidelberg geforscht. An der Grenze zwischen Hermeneutik, Dekonstruktion und Politischer Theologie hat sie die Figur des Fremden unter vielen Aspekten in Betracht gezogen. Ein Ergebnis davon ist ihr Buch "Philosophie der Migration" (Matthes & Seitz 2021). Die sichtbare und unsichtbare Gewalt – von Auschwitz bis zu den zeitgenössischen Formen – hat sie dazu veranlasst, eine Kritik des Nationalstaates zu entwickeln. Mit dem Buch "Von der politischen Berufung der Philosophie" (Matthes & Seitz 2020) hat sie eine Rückkehr der Philosophie in die Polis gefordert. Ihre letzten Bücher sind: „Die Zeit der Revolte“ (Marve 2021) sowie "Das Komplott an der Macht" (Matthes & Seitz 2022).
Steffen Mau, geboren 1968 in Rostock, ist Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat an der FU Berlin studiert und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz promoviert. Er war Professor für Soziologie in Bremen und wurde 2021 mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Zu seinen Büchern gehören u.a. "Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft" (2019) sowie "Sortiermaschinen" über die Filterfunktion von Grenzen im Zeitalter der Globalisierung (2021, C. H. Beck). Er war Mitglied im Sachverständigenrat für Migration und Jurymitglied zur Standortentscheidung des Zentrums für Deutsche Einheit und Europäische Integration. Viel diskutiert wird das Buch "Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft" (2023, mit Thomas Lux und Linus Westheuser). Sein jüngstes Buch ist "Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt" (2024, beide Suhrkamp).