Staatsoper Unter den Linden Berlin - Christian Thielemann dirigiert die Staatskapelle Berlin
Eigentlich sollte Christian Thielemann mit diesem Konzert sein Debüt bei der Staatskapelle Berlin geben. Eigentlich. Letztes Jahr kam dann alles anders – Thielemann sprang ein: beim Sinfoniekonzert, beim "Ring", auf der Tournee. Und ist jetzt designierter Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden. So schnell kann es gehen. Gestern stand bei ihm Anton Bruckners 5. Sinfonie in B-Dur auf dem Programm. Andreas Göbel war dabei.
Zwei Momente bleiben – nach der Aufführung – in Erinnerung. Nach dem Schlussakkord verharrte Christian Thielemann am Pult, um die Wucht des Schlusses nachwirken zu lassen – und auch das Orchester zog mit. Es sah aus wie wenn jemand ein Foto geschossen hätte. Und niemand im Publikum wagte zu früh zu applaudieren.
Und als Thielemann nach etlichen Malen wiederum die Staatskapelle aufstehen lassen wollte, blieb man sitzen – so weit so normal nach sehr guten Konzerten. Aber auch die zweite Aufforderung ignorierte man und überließ den ganzen Beifall dem Dirigenten.
Die Staatskapelle ist glücklich und zufrieden, dass Thielemann mit Beginn der kommenden Spielzeit GMD am Haus wird – nicht umsonst hatte man sich im Vorfeld in einer internen Abstimmung mit über 80 Prozent für ihn ausgesprochen. Und dieser Abend hat noch einmal gezeigt, warum.
Der Bruckner-Dirigent
Auf dem Programm: die fünfte Sinfonie von Anton Bruckner. Warum? Weil Christian Thielemann derzeit der weltbeste Dirigent in Sachen Bruckner ist. Gerade ist mit den Wiener Philharmonikern auch eine Gesamtaufnahme aller Sinfonien Bruckners unter Thielemanns Leitung herausgekommen. Und warum auch nicht – er kommt mit der großen Form, der großen Besetzung und der hohen Komplexität dieser Musik hervorragend zurecht.
Vor der fünften Sinfonie kann man Angst haben – was Bruckner hier an Stimmen und Themen übereinanderstapelt – das ist gewissermaßen der Mount Everest der Komponisten. Und emotional wird man von einem Extrem in das gegenteilige katapultiert. Kurz: Wer das gut dirigieren kann, muss sich vor kaum etwas fürchten.
Geschliffener Diamant
Christian Thielemann nimmt das Werk bemerkenswert leicht. Kein Übergewicht – vielmehr ist es durchsichtig und atmet Klarheit. Es wirkt so unangestrengt, als wenn Thielemann in leichter Sportkleidung den Achttausender hinaufjoggt.
Zwei Dinge weiß Thielemann: Erhabenheit – und davon gibt es in Sachen Blechbläserchoral einiges – darf nie fett sein. Hier leuchtet und funkelt es wie ein geschliffener Diamant.
Und: Man darf die Nebenstimmen nicht verachten. Geradezu liebevoll achtet der Dirigent darauf, dass nichts untergebuttert wird, selbst im größten Dickicht. Da waren Stimmen zu hören, die man bislang nur kannte, wenn man sie in der Partitur gelesen hat. Eine Meisterleistung in Sachen Balance und Orchesterbeherrschung.
80 Minuten Kulinarik
Auf das Publikum hat sich das alles wunderbar übertragen – trotz Erkältungsherbst wurde erstaunlich wenig gehustet. Zu spannend war das, was sich auf dem Podium ereignete. Vor allem ist Christian Thielemann ein Meister darin, Kontraste zu setzen. Und wenn nach einem gewaltigen Tutti alles plötzlich leise wird, hält man den Atem an, weil man Angst hat, etwas besonders Exquisites zu verpassen.
80 Minuten verfolgt man gebannt, was passiert. Aber das alles ist überhaupt nicht anstrengend, sondern von hoher Kulinarik. Man lehnt sich zurück und wünscht nur noch, dass es nie aufhören möge.
Zwei Dinge kann man von diesem Abend mitnehmen: Christian Thielemann ist in der Form seines Lebens. Und für die Staatskapelle ist er genau die richtige Wahl.
Andreas Göbel, rbbKultur