Bertrand Chamayou (© Marco Borggreve) und Sol Gabetta (© Julia Wesely)
Marco Borggreve | Julia Wesely
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Philharmonie Berlin - Kammermusiksaal - Sol Gabetta und Bertrand Chamayou

Bewertung:

Seit vielen Jahren zählt die argentinische Cellistin Sol Gabetta zu den absoluten Stars der Klassikszene. Mit dem französischen Pianisten Bertrand Chamayou spielt sie bereits länger zusammen – eines der besten Duos derzeit.

Wenn Sol Gabetta nach Berlin kommt, kommt das Publikum – der Kammermusiksaal der Philharmonie war ausverkauft, und das angesichts von Krankheitswelle und glatten Straßen. Auch die Stimmung im Saal war gut – es wurde sogar teilweise zwischen den Sätzen geklatscht, was man in diesen Reihen sehr selten erlebt.

Beide verstehen sich blind, haben auch schon mehrere Alben gemeinsam aufgenommen, und das neue wartet schon. Die Doppel-CD mit Schwerpunkt Mendelssohn wird im Januar 2024 erscheinen. Man kennt sich und findet ohne sichtbare Anstrengung zusammen.

Der wahre Mendelssohn

Felix Mendelssohn Bartholdy als Komponist von netter, freundlicher und harmloser Musik, wie man es leider immer noch viel zu oft hört – das kann man hier glücklicherweise vergessen. Bereits seine frühen Variationen hatten bei Sol Gabetta eine Klangintensität voller Tiefe, und Bertrand Chamayou wusste tigerhaft den wahnwitzig virtuosen Klavierpart umzusetzen.

Die zweite Cellosonate von Mendelssohn zeigte bei beiden auch ihre düsteren Seiten, da war es auch mal aufbrausend und sarkastisch, im zweiten Satz, dem Höhepunkt des Abends, hatte es sogar etwas Skurriles und Gespenstisches. Wie man Mendelssohn voll und ganz gerecht werden kann, war hier zu erleben. Man darf sich auf das neue Doppel-Album der beiden freuen.

Die Martha Argerich des Cellos

Da fordert die zweite Cellosonate von Johannes Brahms noch einmal einen ganz anderen Ansatz. Hier müssen sich die Melodien ihren Raum erkämpfen, das ist ein großer Brocken. Aber das passt zu beiden – schließlich sind sie keine verschüchterten Topfpflanzen.

Sol Gabetta mit auftrumpfendem, herausforderndem Ton lässt in der Höhe an eine Sopranistin denken, in der brummenden Tiefe bei Brahms wie ein erkälteter Drache. Ihr Temperament vereint das in schönster Art und Weise, ihr Spiel ist vor allem in den letzten Jahren noch einmal deutlich an interpretatorischer Tiefe gewachsen. Inzwischen kann man sagen: Sie ist die Martha Argerich des Cellos.

Und Bertrand Chamayou liefert das Fundament, das man bei Brahms immer braucht – das ist Tiefgang ohne Übergewicht. Chamayou ist ein wunderbarer Kammermusiker, der genau die Mitte zwischen zu dominant und zu devot kennt.

Kleinigkeiten und Nebenwerke

Als Projekt für ihr Doppel-Album in Sachen Mendelssohn haben sie insgesamt vier Komponisten nach neuen Liedern ohne Worte gefragt. Das ist schön gedacht, herausgekommen sind aber leider nur unbedeutende Kleinigkeiten.

Jörg Widmanns "Lied ohne Worte" (Uraufführung) schwelgt in süßlichster Spätromantik, pflichtschuldigst gebrochen mit ein paar Glissandi oder aphoristischen Splittern. Wolfgang Rihms Beiträge (Deutsche Erstaufführung) liefern freundliche Gesten, auch denkbar romantisch gedacht – ein Glas Rotwein am Kamin. Das sind nette Fingerübungen – man kann diese Stücke getrost in die Kategorie unbedeutende Nebenwerke einordnen.

Macht aber nichts und ändert nichts an der hohen Qualität dieses Duos und dieses Abends. Das war ein großer Abend, der zudem viel Spaß gemacht hat.

Andreas Göbel, rbbKultur