Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Oktober 2024
Im Monat Oktober geht es um eine Hommage an "Kommunikatives Handeln" in einem Gesprächsbuch von Jürgen Habermas mit den Philosophen Stefan Müller-Doohm und Roman Yos. Die britische Historikerin Mary Beard holt einige Kaiser des römischen Reichs vom Sockel. Weitere Sachbücher auf unserer Monatsliste – ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren - beschäftigen sich mit der Geschichte Ostdeutschlands und dem Streiten.
Jürgen Habermas ist gegenwärtig wohl der einzige deutsche Philosoph, der international Aufmerksamkeit gefunden hat. Er gehört freilich auch zur Intellektuellengarde, die mit der Bundesrepublik aufgewachsen sind und, wie Habermas selbst, die Überzeugung hatten, "es musste etwas besser werden" nach der Zeit des Nationalsozialismus. "Was" sagt dieses auch titelgebende Zitat irritierenderweise freilich nicht, und wieviel "etwas“ bedeutet, bleibt auch unklar.
Immerhin: Verantwortung im intellektuellen und politischen Sinn ist das Arbeitsziel, dem man in diesem Gesprächsbuch mit Stefan Müller-Doohm und Roman Yos, ihrerseits Philosophen aus dem ehemaligen Westdeutschland, folgen kann. Da bekanntlich Gespräch und sprachlicher Austausch im Zentrum des Habermas’schen Universums stehen, ist dieses Gesprächsbuch eine Hommage an das "Kommunikative Handeln“, das für Habermas immer noch den Versuch einschließt, "in der Sparchverwendung der kommunikativen Alltagspraxis ein Vernunftpotential nachzuweisen" (S.120).
Ein Blick in die bundesrepublikanische Vergangenheit
Mit anderen Worten: die Wahrheit eines Sprechaktes lässt sich nur durch die Handlung überprüfen, und das heißt, durch moralische, politische, selbst ästhetische Praxis. Dieses Buch bietet den Blick in eine intellektuelle, insbesondere bundesrepublikanische, Vergangenheit, und könnte dazu veranlassen, darüber nachzudenken, welche Aufgaben heutige Philosophie und Soziologie hat, um "etwas besser werden“ zu lassen.
Das römische Imperium verglichen mit den heutigen USA
Ob historische Vergleiche dazu taugen? Der Historiker Peter Heather und der Ökonom John Rapley vergleichen das römische Imperium und das gegenwärtige Amerika miteinander und wollen damit "die Zukunft des Westens“ beschreiben. Als "Stürzende Imperien“ nennen sie die miteinander über einen langen Zeitraum verbundenen Schicksale dieser mächtigen Staatsgebilde.
Nach ihren Beobachtungen "zeichnet sich eine Reihe von Entwicklungsmustern in der modernen Welt bereits deutlich genug ab, um mit Hilfe der römischen Geschichte aufzuzeigen, dass der Westen derzeit erstens gerade die Anfänge einer sich weiter steigernden und möglicherweise existenzbedrohlichen Krise erlebt und zweitens diese Krise die gleichen Kernursachen hat, die sein antikes römisches Pendant zu Fall brachten“ (S.125). Dazu gehört u.a. der innere Zerfall des Staates bzw. der in den Imperien zusammengeschlossenen Staaten; 'Spaltung‘ der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer ist das Menetekel unserer Zeit.
Das Leben eines römischen Herrschers war kein Vergnügen
Man sollte meinen, dass Herrscher auf der Seite der Gewinner und der Glücklichen stehen, da sie doch oft über Macht und Reichtum, zum Teil in unermesslicher Höhe, verfügen. Das ist aber nicht der Fall, wie uns die englische Historikerin Mary Beard mit in ihrem Buch über "Die Kaiser von Rom“ nachdrücklich zeigt: die meisten von ihnen starben durch das Schwert, den Dolch oder Gift. Ein Vergnügen war das Leben der Kaiser von Rom wohl nur für wenige.
Vielleicht macht dies den Charme des Buches aus: dass Mary Beard immer auch ihre persönlichen Eindrücke, Wahrnehmungen in den ansonsten natürlich sachlichen Text einfließen lässt. Und so werden die Kaiser Roms, die alles verkörpert haben - Genialität, Verrücktheit, imperiale Größe, Wahnsinn und unfassbare Grausamkeit - doch irgendwie auch menschliche Figuren in einem historischen Rahmen, der seinerseits unfassbar ist.
Mary Beard holt einige Kaiser vom Sockel
Manche Kaiser holt Beard von ihrem Sockel, manche zeigt sie in ihrer Schwäche – und macht auf diese Weise auch klar, wie sich der Blick der Historiker auf Rom und das römische Imperium im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat, von Staunen, Verklärung, Erschrecken bis zu nüchterner Analyse. Mary Beard blickt milde lächelnd auf die Vergangenheit zurück, vielleicht auch, weil sie selber einer Nation angehört, deren Imperium verschwunden ist.
Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992