Steven Levitsky / Daniel Ziblatt: Die Tyrannei der Minderheit; © C. H. Beck Verlag
Bild: C. H. Beck Verlag

Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Juni 2024

Ein Warnruf geht durch die westliche Welt: Die Demokratie ist in Gefahr! An Versuchen, die Ursachen dieser Gefährdung demokratischer Gesellschaften und ihrer Selbstverständnisse zu ergründen, fehlt es seit Jahren nicht. Diese Gefährdungen haben durchaus unterschiedliche Wurzeln, in unserer Liste sind einige Bücher, die sich mit ihnen beschäftigen, schon genannt worden – im Juni 2024 führt ein weiteres die Sachbuchliste an.

In diesem Monat steht nun das Buch der beiden Professoren für Regierungslehre der Harvard-Universität, Steven Levitsky und Daniel Ziblatt auf Platz 1 unserer Liste. Sie fragen, so der Untertitel ihres Buches "Die Tyrannei der Minderheit", "Warum die amerikanischen Demokratie am Abgrund steht", und versuchen von der Antwort auf diese Frage abzuleiten, "was wir daraus lernen können".

Im Mittelpunkt des Buches stehen natürlich Amerika und die Geschichte der amerikanischen Verfassung. Es gibt aber immer wieder einen erhellenden Blick über den Tellerrand hinaus, vor allem dorthin, wo es Beispiele für Verschiebungen der Machtverhältnisse, den Umgang mit Regierungskrisen etc. gibt. Entscheidend erweist sich eine "Zügelung der Mehrheiten" und eine Kontrolle der Minderheiten.

Gerade die Kontrolle der Minderheit ist für die gegenwärtige politische Lage in Amerika von ausschlaggebender Bedeutung. Sie ist, das zeigen die beiden Autoren, ein kardinaler Schwachpunkt der amerikanischen Verfassung von Anfang an, und sie ist Teil der Spaltung der Gesellschaft.

Hierzulande feiern wir gerade den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes. Das scheint besser geschützt und hat sich ja auch bisher gut gehalten. Aber gefährdet ist es auch, und damit heißt es auch für den Bestand unserer Demokratie: Wir müssen uns um sie kümmern.

Philipp Lenhard: Café Marx; © C. H. Beck Verlag

Bollwerk gegen antidemokratische Kräfte

Ebenfalls einen runden Geburtstag, nämlich den 100., feiert das "Institut für Sozialforschung" bzw. das, was man später gemeinhin die "Frankfurter Schule" genannt hat. Und auch dieses Institut ist ein Bollwerk gegen antidemokratische Kräfte, freilich nicht allein gegen sie. Den Mitarbeitern: Adorno, Horkheimer, Marcuse, Benjamin – die Schlüsseldenker ihrer Epoche –, ging es immer um Aufklärung, den Kampf gegen den Terror, und um die Auseinandersetzung mit dem Marxismus.

"Café Marx“ nannten dann auch Freunde wie Feinde dieses Institut, das von Deutschland, über Frankreich und ein Exil in Amerika, wieder bis nach Deutschland wanderte. Ihre Mitarbeiter bestimmten die intellektuellen Debatten des 20. Jahrhunderts – und irgendwie sind ihre Denkanstöße noch nicht versiegt.

Philipp Lenhard hat in dieser "Biographie" wirklich erstaunliche, viele erhellende und vergessene oder unbekannte Aspekte der Beteiligten und ihrer Arbeit hervorgeholt und auf bemerkenswert lesbare Weise zusammengetragen. Selbst solche, die von der "Frankfurter Schule" nichts wissen wollten oder ihr sogar ablehnend gegenüberstehen, werden dieses Buch mit Gewinn lesen.

Sabine Rewald (Hg.): Caspar David Friedrich; © Schirmer/Mosel
Bild: Schirmer/Mosel

Bilder aus Russland

Und noch einen Geburtstag gibt es zu feiern: Im September 2024 jährt sich der Geburtstag von Caspar David Friedrich zum 250. Mal. Viele Bücher, viele Ausstellungen gibt es – alle feiern ihn, und dies tut auch der Verlag Schirmer/Mosel mit der Neuauflage der "Gemälde und Zeichnungen aus russischen Museen".

Das Buch geht auf eine Ausstellung im Jahr 1990 zurück, in der die damalige Kuratorin des Metropolitan Museums in New York, Sabine Rewald, zum ersten Mal überhaupt Bilder dieses Malers in Amerika zeigen konnte. Es waren eben Bilder aus Russland, denn die Zarenfamilie und russische Intellektuelle waren seinerzeit die ersten Ausländer, die Bilder Friedrichs erwarben.

Es war die Zeit, in der der Westen, insbesondere die Romantik, aus russischer Perspektive noch attraktiv war. Die Bilder lassen es uns nachempfinden. Lange ist es her.

Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992

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