Steffen Mau: Ungleich vereint; Montage: radio3
Bild: Suhrkamp Verlag

Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Juli 2024

Selten hat ein Sachbuch so eingeschlagen wie Steffen Maus Versuch einer Erklärung, "Warum der Osten anders bleibt". Wie gewohnt am Puls der Zeit, sind auch die weiteren Titel unserer Sachbuchliste – ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren.

Steffen Mau, der Professor für Makrosoziologie, der seinerzeit mit seiner Studie über "Lütten Klein" über die Befindlichkeit ostdeutscher Menschen in der Gesellschaft vom Übergang von Ost- zu Westdeutschland bereits Aufsehen erregt hatte, hat mit dem neuesten Buch offenbar richtig ins Schwarze getroffen: "Ungleich vereint" ist seine Diagnose, und dies auf lange Zeit, wenn nicht auf immer. Seine Prognose: "Wir können feststellen, dass sich manche Unterschiede trotz anderer Erwartungen aushärten und reproduzieren – kulturelle, sozioökonomische und politische. Es scheint sich eine bleibende Unterschiedlichkeit festzusetzen" (S. 18).

Tatsache ist wohl, dass sich beide Seiten ein falsches Bild von der anderen Seite gemacht haben und diese Fehleinschätzungen zu scheinbaren Tatsachen verfestigt haben. Mit diesen Fehleinschätzungen, Vorurteilen, blinden Flecken räumt Mau gründlich auf und lässt uns Leser ahnen, wieviel falsch gelaufen ist in den mehr als 30 Jahren seit der Wiedervereinigung und wie viele verpasste Chancen zum besseren Zusammenleben es hätte geben können.

Zu tun ist also noch genug. Der Trost: Mau sieht allerlei Möglichkeiten, aus den schwierigen Verhältnissen herauszukommen, insbesondere wenn die in Ostdeutschland vorhandenen eigenen Wege basisdemokratischen Mitmachens anerkannt und gefördert würden.

Wolfgang Kraushaar: Israel – Hamas, Gaza, Palästina; Montage: radio3

"Scheinbar unlösbarer Konflikt"

Eine "verantwortungslose Falle, die man beiden Völkern, dem jüdischen ebenso wie dem arabischen gestellt hatte" (S.35) nennt Wolfgang Kraushaar den historischen Ausgangpunkt des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, den die Briten zu verantworten hätten, in seinem Buch "Israel: Hamas Gaza, Palästina".

Kraushaar, den wir als Experten für linke und rechte Extremisten kennen, versucht, den "scheinbar unlösbaren Konflikt" zu beschreiben, indem er die infrage stehenden Schlüsselbegriffe wie "Israel und der Zionimus" oder "Der Gaza-Streufen" systematisch einer kritischen Analyse unterwirft und die weitverbreiteten Gleichsetzungen, z.B. Gaza gleich Ghetto, Westjordanland gleich Apartheid etc. sorgfältig voneinander trennt.

Kraushaar kommt zu dem Schluss, dass sowohl die Ziele Netanyahus und dessen Regierung als auch diejenigen der Hamas unrealistisch seien, weshalb eine Lösung nur von außen kommen könnte. Kraushaar vermutet, dass dies nur die USA sein könnten. Aber ob das realistisch ist?

Shashi Tharoor: Zeit der Finsternis; Montage: radio3
Bild: Verlag Die Andere Bibliothek

"Zeit der Finsternis"

Die Briten als Mandatsträger kommen bei Kraushaar nicht gut weg. Noch negativer sieht der in England geborene Jurist und Schriftsteller Shashi Tharoor das Wirken des britischen Empire in Indien. Für ihn war es eine "Zeit der Finsternis". "Das Empire feuerte Kanonen gegen Aufständische ab, massakrierte unbewaffnete Demonstranten, schuf einen institutionalisierten Rassismus und ließ Millionen Menschen verhungern. Die Formen der Ausbeutung reichten von der Abschöpfung der inländischen Ressourcen über die Zerstörung der indischen Textilindustrie bis hin zur Vernichtung der heimischen Landwirtschaft" (Klappentext).

Eine erschreckende Lektüre über eine zwar vergangene Kolonialzeit, aber, wie der beigefügte Essay von Mithu Sanyal mit Spuren bis in unsere Gegenwart. Eine wichtige Lektüre über ein Land, das bald zu den großen der Weltpolitik gehören könnte.

Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992

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