Eva Horn: Klima; © S. Fischer Verlag
Bild: S. Fischer Verlag

Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Januar 2025

In ihrem Buch "Klima" unternimmt Eva Horn eine spannende Reise durch Klimazonen und Windparcours, Hitze- und Kältezonen, Dampf- und Wolkenreiche. Boris von Brauchitsch taucht in die Welt des Malers Willliam Turner. Und Volker Heise ruft in seinem Buch "1945" ein Jahr in Erinnerung, in dem Untergang und Neubeginn ineinander übergingen. Drei der Bücher auf der radio3-Sachbuchliste – ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren.

Mir fällt es schwer, mich gedanklich in einen Raum zu versetzen, in dem nur Luft als Medium vorhanden ist und sonst gar nichts. Aber wer das Buch "Klima" von Eva Horn liest, wie es die Mitglieder unserer Jury getan haben, muss diesen Schritt ständig tun. Denn "im Klima, im Wetter, in der Luft zu sein, bedeutet so, sich in einem Raum des "Zwischen" – zwischen Himmel und Erde, Ich und Welt, Innen und Außen – zu situieren".

Folglich befindet man sich in einer "Welt des permanenten Wirbelns, Wandels und Sich-Verwandelns" (S. 24). Und weil dieses Sich-Hineinversetzen in diese Welt Zeugen braucht, bedient sich die Autorin, die eine ausgewiesene Literatur- und Kulturwissenschaftlerin ist, immer wieder ästhetischer Darstellungen: "Erzählungen, Imaginationen, Metaphern, Gedichte und Bilder" (S. 21). Was folgt, ist eine spannende Reise durch Klimazonen und Windparcours, Hitze- und Kältezonen, Dampf- und Wolkenreiche.

Alles zusammen – und freilich einen langen Atem voraussetzend, um im Bild zu bleiben – macht sie uns mit einem Medium vertraut, das unser biologisches Leben ebenso beeinflusst wie die sozialen Gesellschaften, gewissermaßen von Urzeiten an. Interessant ist auch der Hinweis auf eine Art Entfremdungsprozess, der mit der Meteorologie, also dem Zugriff der Naturwissenschaft auf natürliche Vorgänge, eingesetzt hat und uns Gegenwärtige zwischen Skepsis und Erwartung des Klimawandels schwanken lässt. Jedenfalls ist das Klima deutlich mehr als ein flüchtiger Windhauch.

Boris von Brauchitsch: William Turner; © Insel Verlag
Bild: Insel Verlag

Der Maler William Turner zwischen Natur und Industrialisierung

"Die Überwältigung der Erde durch den Himmel wird besonders sinnfällig in den Bildern von William Turner" (S. 262), erklärt Eva Horn und beschreibt Turners Gemälde "Snow Storm" als eine "wirbelnde Szenerie aus Wasser, Luft, Dampf und Licht" (S. 263).

Mindestens vergleichbar ist das Gemälde "Regen, Dampf und Geschwindigkeit – die Great Western Railway" von 1843, in dem es überhaupt nur ein "einzig wirklich scharf Konturierte[s]" gibt, nämlich den Schornstein der Lokomotive, schreibt Boris von Brauchitsch in seiner Turner Biografie (S. 216).

Wie es zu diesem Schritt in eine Malerei des Atmosphärischen, Unscharfen und doch Natürlichen gekommen ist, erzählt Boris von Brauchitsch anschaulich und mit dem nötigen Respekt vor einem Künstlerleben, das nicht frei von Mystifikation gewesen zu sein scheint. Dabei klärt er auch Turners Stellung zwischen Natur und beginnender Industrialisierung, die sein Leben wie seine Malerei bestimmt haben und die die Moderne der Malerei beeinflusst hat.

Volker Heise: 1945; © Rowohlt Berlin
Bild: Rowohlt Berlin

Das Jahr 1945: ein Balanceakt über dem Abgrund

Das Jahr "1945" war, so suggeriert das Titelbild auf Volker Heises Buch, ein Balanceakt über dem Abgrund, genauer gesagt: über einem Trümmerfeld. Achtzig Jahre ist der Untergang des Deutschen Reiches her, und die Geschichte dieses einen Jahres fängt Volker Heise mit dem Blick des Dokumentarfilmers und Regisseurs ein: mit "einer Vielzahl von Tagebüchern, Briefen, Protokollen, Schriftstücken, Rundfunksendungen und Wochenschauen" (S. 9).

So geht er Tag für Tag durch die Geschichte, in der Untergang und Neubeginn ineinander übergehen, sich die Schrecken der unmittelbaren Gegenwart und die Hoffnungen auf ein Weiterleben nach dem Überleben mischen – ein faszinierendes, z.T. erschütterndes und bemerkenswertes Panorama. Und auch ein Buch, das, indem es Vergangenheit in unsere Zeit holt, die Katastrophen der Gegenwart zu bedenken gibt.

Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992

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Sachbücher des Monats; © radio3/rbb
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Die Sachbücher des Monats

Themen beleuchten, Probleme analysieren, Lösungen diskutieren: Sachbücher bieten in einer immer komplexeren Welt Orientierung – aber wer kennt schon die Neuerscheinungen auf dem deutschsprachigen Büchermarkt? 24 namhafte Jurorinnen und Juroren aus Wissenschaft und Publizistik bewerten Monat für Monat neue Sachbücher nach Relevanz, Originalität und Lesbarkeit. Ihre Funde sammeln wir als "Sachbücher des Monats" und ergänzen sie durch die "Besondere Empfehlung" eines ausgewählten Lesers – eine Lesehilfe für ein interessiertes Publikum.