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Empfehlungen der unabhängigen Jury - Sachbücher des Monats Februar 2025
Der britische Historiker Marty Rady erzählt spannend die "neue Geschichte Mitteleuropas". Bettina Stangneth lädt mit "Club der Dilettanten" ein, durch das Labyrinth der Bücher und Leseangebote zu wandern und die eigene Leseerfahrung mit ihrer zu vergleichen. Eine große Entdeckung ist die ins Deutsche übersetzte Gesamtausgabe von "Der Zibaldone". Drei der Bücher auf der radio3-Sachbuchliste – ausgewählt von 24 namhaften Jurorinnen und Juroren.
Es gibt Bücher, oft verbunden mit dem Nimbus des Großartigen, Überbordenden, von denen man als Gerücht gehört, die man aber, weil sie in einer fremden Sprache geschrieben und nicht übersetzt sind, nie zu Gesicht bekommen hat, jedenfalls nicht zur Gänze. Bis sie dann endlich doch da sind. So ist es mit Giacomo Leopardis "Zibaldone", einem "Sammelsurium" aus Reflexionen, Beobachtungen, literarischen und philosophischen Betrachtungen geschehen, die Leopardi zwischen 1817 und 1832 auf 4.526 Seiten handschriftlich niedergeschrieben und in einer Truhe versteckt hat.
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Erstaunliches "Ideengewimmel"
Jetzt ist es in ganzer Länge da bzw. es beginnt die ins Deutsche übersetzte Gesamtausgabe – dem Verlag sei Dank. "Der Zibaldone", schreibt der Kommentator Franco d’Intino, "gehört einer amphibischen Textsorte an" (S. 13), d.h. einem Schreiben zwischen Literatur und Privatem; er könne nicht anders, betont Leopardi selbst, als seine kritischen Beobachtungen für seinen "Seelenfrieden" (S. 85) niederzuschreiben.
Das spürt man in diesem kurzweiligen, überraschenden, erstaunlichen "Ideengewimmel" (Jean Paul) und lernt etwas dazu, über die Zeit, die wir als Klassizismus kennen, und über die Möglichkeiten, mit seinen Gedanken über die Gegenwart hinaus zu schweifen. Und nicht zuletzt: Das Buch passt auch insofern in unsere Zeit des Wandels und der Transformationen, als der "Zibaldone" selbst das Produkt einer Übergangsepoche war und aus ihr seine Kraft bezogen hat, freilich auch ihre Vorurteile und Fehleinschätzungen. Im Ganzen aber: eine Entdeckung.
Durch das Labyrinth der Bücher wandern
Aber Ach! Wer liest heute noch so viele Seiten – oder gar überhaupt? Bettina Stangneth hat sich diese Frage gestellt und, so einer der Untertitel, "eine Einladung zur Ehrlichkeit" gemacht. Die Autorin macht Lust, durch das Labyrinth der Bücher und Leseangebote zu wandern, hier und da innezuhalten und die eigene Leseerfahrung mit ihrer zu vergleichen; die Möglichkeiten sind uferlos, und doch überschaubar und zu vielen bietet das Buch einen leicht lesbaren Zugang.
Spannendes Buch über die Geschichte Mitteleuropas
Ein Buch, das man wirklich von Anfang bis Ende mit nicht nachlassender Spannung lesen kann – und dies trotz fast 700 Seiten -, ist die "neue Geschichte Mitteleuropas" des englischen Historikers Marty Rady. Er spannt das Feld "Vom Rhein bis zu den Karpaten" und erschließt uns eine historische Dynamik voller Bewegung, wechselnder Territorien, verschobener Grenzen, mächtiger Herrschaft und Kämpfe ums Überleben.
Der Autor öffnet den Blick auf das Schicksal Mitteleuropas, dessen westlichen Rand Deutschland einnimmt, indem er zeigt, wie durch die ständige Drängelei großer und kleiner politischer, militärischer, gesellschaftlicher und ethnischer Kräfte auf – global gesehen - relativ engem Raum Staaten entstanden sind, in denen, da sie sich zugleich anziehen und abstoßen, Politik zu einer Aufgabe wird, die bis heute Fingerspitzengefühl verlangt und leider oft schief ging.
Andreas Wang, Herausgeber der "Sachbücher des Monats" seit 1992