Comic des Monats – Oktober 2024 - Maren Amini: Ahmadjan und der Wiedehopf
Die Hamburger Comic-Künstlerin Maren Amini hat mit "Ahmadjan und der Wiedehopf" eine Biografie über ihren Vater geschrieben, der in den 70er Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam, um Künstler zu werden. Es ist eine farbenfrohe Geschichte voller Abenteuer und Verwicklungen, die zeigt, dass die afghanische Kultur vielfältig und voller Kreativität war – der radio3 Comic des Monats!
"Dieser Comic ist all jenen Vögeln gewidmet, die sich auf den Weg gemacht haben." So steht es zu Beginn der Biografie von Ahmadjan Amini. Darüber sind fünf blaue Vögel zu sehen, mit dicken Pinselstrichen aufs Papier geworfen, grob gespachtelt, abstrakt und zugleich ganz zart und fein. Vielleicht sind es fünf Schwalben, die mit ihren gespaltenen Schwänzen auf einer Oberleitung sitzen, zum Abflug bereit.
Vögel auf Wallfahrt
Es sind 5 von den 1.000 Vögeln, die Ahmadjan Amini gemalt hat, als Hommage auf die persische Dichtung "Die Konferenz der Vögel". Darin suchen die Vögel der Welt nach einem idealen Herrscher und begeben sich dafür auf eine Wallfahrt. Maren Amini hat sich von der Malerei ihres Vaters inspirieren lassen und immer wieder Kunstwerke von ihm in den Comic eingebaut. Und sie hat eigene Vögel gezeichnet, mit einfachen schwarzen Linien. Vögel die sich aus Bäumen erheben, zu Schwärmen formieren, vom Himmel fallen.
Maren Amini zeichnet die Biografie ihres Vaters als Geschichte eines ungeheuren Drangs nach Freiheit und Kreativität. Der wird 1953 in armen Verhältnissen im afghanischen Panjshir-Tal geboren. Seine Mutter stirbt früh, sein Onkel gibt Geld, damit er auf ein Internat nach Kabul gehen kann.
Als Ahmadjan nach seiner Ausbildung ein Angebot als verbeamteter Bauzeichner ausschlägt, reagiert seine Familie empört. Doch Ahmadjan hat schon die Hippies kennengelernt, die seit den 60er Jahren durchs Land ziehen. Ahmadjan liebt deren freien Lebensstil, bemalt ihre VW Busse und verdient gutes Geld als Reiseführer.
Sehnsucht nach Freiheit
Der Comic zeigt das Aufeinanderprallen der Kulturen: von den naturnah lebenden Menschen in den abgelegenen Tälern Afghanistans und der überbordenden Kultur in der Hauptstadt Kabul. Maren Amini zeichnet, wie ihr Vater in Kabul tanzen geht, wie er die Musikszene entdeckt, in der sich afghanische und westliche Stile mischen. Es ist eine reiche, vitale Kulturszene, die durch die vielen Kriege ausgelöscht wurde. Eine Kulturszene, die in Ahmadjan die Sehnsucht nach mehr Freiheit weckt.
Ahmadjan will zusammen mit einem wohlhabenden Freund in die USA auswandern. Der Freund bekommt ein Visum, Ahmadjan nicht. Er bekommt den Tipp, dass Afghanen für Deutschland ein Besuchervisum bekommen, kommt nach Hamburg und erlebt da neben Ausbeutung auch die Hausbesetzerszene und die farbenfrohe Kultur der 70er Jahre, die seine Kunst beeinflussen wird.
Durch sieben Täler
"Ahmadjan und der Wiedehopf" heißt der Comic, weil Maren Amini die persische Dichtung von der Konferenz der Vögel mit der Biografie ihres Vaters verwebt. Der Wiedehopf hat in der Geschichte die Reise angeregt und führt die Vögel durch sieben Täler bis zum Vogel Simurgh.
Im Comic durchläuft auch Ahmadjan die Täler. Maren Amini zeichnet ihren Vater dabei immer mit einfachen schwarzen Strichen wie eine Karikatur mit dicker Nase und Wuschelkopf, der von den Ereignissen auf seinem Weg immer wieder kräftig zersauselt wird.
Vor allem diese Art der Zeichnung gibt der Biografie immer wieder eine Leichtigkeit, die über alle Härten hinwegführt. Da ist die Abschiebung nach Afghanistan, weil sein Besuchervisum abgelaufen ist, der Militärdienst dort und dann der Einmarsch der Sowjetunion. Ahmadjan bekommt daraufhin Asyl, landet in Hamburg und gründet eine Familie. Doch auch die Zurückweisungen durch den frühen Tod seiner Mutter haben sich in ihn eingeschrieben. Es fällt ihm so schwer, für seine Familie da zu sein, dass es kracht.
Biografie und Geschichtsbuch
Maren Amini zeigt auch die schwierigen Seiten ihres Vaters – und zeichnet doch ein warmes Bild von ihm – und sein Leben als ein reiches. Schließlich ist er einer der wenigen Vögel, die angekommen sind. Der Comic "Ahmadjan und der Wiedehopf" ist damit viel mehr, als nur eine Biografie: Es ist ein Buch über die reiche Kultur und Geschichte Afghanistans – und ein Buch, dass auch all die vielen Vögel einschließt, die auf der Reise verloren gehen.
Andrea Heinze, radio3