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Akademie der Künste - Poesie der Zeit: Michael Ruetz – Timescapes 1966 – 2023

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16 Jahre ist es her, dass der Fotograf Michael Ruetz zuletzt in der Akademie der Künste ausgestellt hat. "1968. Die unbequeme Zeit" hieß diese Schau über jene Jahre, in denen er sich mit seinen Aufnahmen der Studentenbewegung, ihrer Protagonisten und nicht zuletzt dem Foto einen Namen machte, das die berühmte Ohrfeige festhielt, die Beate Klarsfeld dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger verabreichte. Anlässlich der Übergabe eines umfangreichen Teils seines Werks als Vorlass an das Archiv der Akademie, widmet diese ihrem Mitglied erneut eine Ausstellung. Sie gibt Einblick in sein über Jahrzehnte hinweg gewachsenes Projekt der "Timescapes".

"Der Zufall und seine Erfassung ist sozusagen mein Lebensprinzip. Und dieses Lebensprinzip bringt Glück", sagt Michael Ruetz in einem Dokumentarfilm über sein Werk von Annett Ilijew. Dieses Lebensprinzip bedeutet aber auch sehr viel sehr präzise Arbeit, möchte man nach einem Besuch dieser Ausstellung ergänzen.

Den Wandel festhalten

Für seine "Timescapes" ("Zeitlandschaften") kehrte er über Jahrzehnte hinweg immer wieder an dieselben Orte zurück – in verschiedenen Städten, aber auch im ländlichen Raum - um aus exakt derselben Perspektive einen bestimmten Ort im Wandel der Zeit zu fotografieren. Sein besonderes Interesse galt dabei Berlin, das mit seinen architektonischen, städtebaulichen – kurz: historischen - Veränderungen auch im Fokus dieser Ausstellung steht.

Schnittstellen der Veränderung

Allein im Stadtzentrum Berlins legte der Ruetz rund 140 Beobachtungspunkte fest, die er über die Jahre immer wieder aufsuchte, um zu fotografieren. Manche musste er frühzeitig aufgegeben, weil z.B. durch Neubauten sein Beobachtungspunkt zufällig unzugänglich wurde, nichts mehr zu sehen war oder sich nichts mehr verändern konnte.

In der Ausstellung zu sehen sind historische "Schnittstellen" wie der Leipziger Platz oder das Tacheles. Jede dieser Sequenzen besteht in einer Auswahl von sechs Panorama-Aufnahmen – etwa vom Potsdamer Platz: Zuerst im Mai 1990 fotografiert, dann wieder Oktober 1994, April 1997, usw., immer um die Mittagszeit. Jede Aufnahme ist mit exakter Orts- und Zeitangabe versehen.

Auf der ersten Fotografie, im Mai 1990, ist dieser Potsdamer Platz ohne wiedererkennbare Landmarke – nur Absperrgitter, Zäune, Baukräne im Hintergrund sind zu sehen. Ein paar Jahre später dann Baugruben, Rohre, der Blick in den Untergrund wird frei, wo ein unterirdischer Bahnhof entsteht. Und schließlich, im Mai 2004, wird sichtbar, was den Potsdamer Platz bis heute kennzeichnet: eine große gepflasterte Fläche im Vordergrund, die Überdachung zum Eingang des Bahnhofs Potsdamer Platz und Riesenwerbung an den eingerüsteten Häusern gegenüber.

Würde man nur das erste und das letzte Bild sehen, könnte man nicht erkennen, dass es sich überhaupt um denselben Ort handelt, fotografiert aus jeweils derselben Perspektive.

Akademie der Künste: Poesie der Zeit. Michael Ruetz – Timescapes 1966–2023

Im Dienst des Motivs

Ruetz fotografiert in Farbe, parallel dazu aber immer auch in Schwarzweiß. Was ursprünglich nur zur Sicherheit geschah (weil ihm einmal im Labor ein Farbfilm runiniert wurde), lässt er aber auch gelten. In der Ausstellung ist z.B. die Entstehung des Pei-Baus des Deutschen Historischen Museums, mit seiner charakteristischen Treppenhaus-Schnecke, in Schwarzweiß zu sehen. Bemerkenswert ist, dass es Michael Ruetz beim Fotografieren offensichtlich auf das Bild ankommt und nicht auf das Foto als "Objekt". Während andere Fotografen genau festlegen, welche Größe z.B. der Abzug einer Aufnahme haben soll, passt er sie den jeweiligen Ausstellungserfordernissen an. So bietet diese Ausstellung auch Projektionen seiner Bilder, die die Veränderungen eines Ortes – beispielsweise am Schloßplatz in Berlin – fast filmisch erfahrbar machen, weil ein Foto durch das folgende "überblendet" wird. Was wie Zeitraffer erscheint, wird ermöglicht durch die Präzision, mit der der Fotograf darauf achtet, dass die technischen Koordinaten jeweils die gleichen sind.

Kleinklein eines Opus Magnum

Dabei steckt die Tücke im Detail. Wenn sich ein Stadtraum so grundlegend verändert wie in Berlin, wie weiß der Fotograf nach ein paar Jahren noch, wo genau er stand, welchen Bildausschnitt er seinerzeit gewählt hat?

Zu den Hunderten von "Timescape"-Serien mit insgesamt Tausenden von Aufnahmen hat Ruetz dem Archiv der Akademie der Künste auch seine Aufzeichnungen, Dokumentationsmaterial, Stadtpläne usw. übergeben. Auch davon vermittelt die Ausstellung einen Eindruck, so dass man sich wirklich in das Kleinklein dieses Opus Magnum vertiefen kann und immer mehr begreift, wie viel Aufwand es bedeutet, wenn man, wie Michael Ruetz, die Verwischungen nachvollziehbar machen will, die die Zeit verursacht.

Poesie der Zeit

Der Begriff "Poesie", der auf das altgriechische Wort für "Erschaffung" zurückgeht, verweist darauf, wie Ruetz' "Timescapes" erst Zeit – im Bild – "erschaffen", indem sie ihre Spuren sichtbar machen. Und natürlich laden diese Aufnahmen Berlins auch ein zu überlegen, wie viele andere Entwicklungen möglich gewesen wären. Waren diese großen Brachen nur öde? Waren sie nicht auch eine Möglichkeitsform, Versprechen? Und wo sind diese Möglichkeitsformen heute hin?

Silke Hennig, rbbKultur

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