Album der Woche | 22.04. - 28.04.2024 - Quatuor Agate: Johannes Brahms - Die Streichquartette
Vier junge Südfranzosen lernen sich an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin kennen - und gründen gemeinsam ein Quartett: das Quatuor Agate - benannt nach Agathe von Siebold, einer Liebschaft von Johannes Brahms. Ihm wiederum widmen die vier Musiker ihr erstes Album: mit den drei Streichquartetten von Brahms.
Brahms sei nicht nur der typische und schwere "Brahms-Klang", findet Adrien Jurkovic, der im Quatuor Agate die erste Geige spielt. In den Streichquartetten seien sowohl Spuren der Vergangenheit als auch ein Blick in die Zukunft zu finden. Und diese Spannweite erlaube die Freiheit, mit Klang, Tempi und Ausdruck zu experimentieren.
"Was uns fasziniert, ist diese Freiheit, die uns diese Musik lässt", sagt Jurkovic.
Choralhaft und lyrisch - ohne Vibrato
Das Ensemble beweist in dieser Aufnahme eine hohe Flexibilität. Manche Stellen spielen die vier Streicher ganz ohne Vibrato – besonders passend zum Beispiel zum Choral, der sich im ersten Satz des zweiten Streichquartetts versteckt.
Auch das Gesangliche, fast liedhaft Lyrische in diesem Quartett bringen die vier Musiker zum Klingen.
Jedes der drei Quartette habe eine eigene Persönlichkeit, so Adrien Jurkovic. Daher müsse man jedes der Quartette mit einem anderen Duktus spielen und für jeden Satz den angemessenen Klang und Ausdruck finden.
Spuren von Mozart und Beethoven
Das letzte Quartett ist das klassischste der drei. Brahms schrieb es 1875 während eines Sommerurlaubs am Neckar, unmittelbar nach Vollendung seiner ersten Sinfonie. Entspannt und heiter, mit einem Jagdthema zu Beginn erinnert es ein wenig an Mozart.
Das erste Streichquartett, das Brahms selbst als langwierige "Zangengeburt" bezeichnet haben soll, lässt die anbrechende Moderne durchschimmern. Dieses Quartett zeichne eine besondere Dramatik aus, findet Adrien Jurkovic. Auch ein starker Einfluss von Beethoven sei zu hören, so der Geiger:
"Brahms war fast ein bisschen traumatisiert, dass Beethovens Streichquartette bereits so fortschrittlich waren. Ich glaube, er versuchte, ihm darin nachzueifern. Daher ist das erste Quartett vielleicht Brahms’ modernstes.“
Progressiv in Rhythmik und Melodie sowie in der teilweise gleichberechtigten Übereinanderlagerung der Stimmen ist dieses Quartett. Und vorwärtsgewandt im Umgang mit dem musikalischen Material.
Ein Klavierstück für Streichquartett arrangiert
Am Ende des Albums, quasi als Bonustrack, setzt das Quatuor Agate noch eine Romanze. Ursprünglich hatte Brahms sie für Klavier geschrieben - in einem Schwung mit fünf weiteren kleinen Charakterstücken. Das Quatuor Agate selbst hat sie für Streichquartett arrangiert und verleiht ihm dadurch eine besondere Färbung und Ruhe.
Interpretation mit eigener Handschrift
Die vier Musiker - das sind die beiden Geiger Adrien Jurkovic und Thomas Descamps, der Bratschist Raphaël Pagnon und der Cellist Simon Iachemet - zeigen auf dem Album den Spannungsreichtum, die Vielfalt und das Fortschrittliche, das in der Musik von Brahms steckt. Und obwohl es bereits zahlreiche Aufnahmen der drei Streichquartette gibt, hat das Quatuor Agate eine eigene Handschrift gefunden, bei der es sich lohnt hinzuhören.
Antje Bonhage, radio3