Album der Woche | 22.01. - 28.01.2024 - Martina Frezzotti: "Amy Beach - Piano Music"
Immer mehr Pianistinnen und Pianisten nehmen den Trend auf, unbekannte Werke von Komponistinnen zu entdecken. Endlich erfährt ihr Schaffen erhöhte Aufmerksamkeit. Und so hat sich die italienische Pianistin Martina Frezzotti entschieden, die Klavierwerke-Welt von Amy Beach vorzustellen. Nun liegt ihr neues Album vor, das schlicht "Amy Beach" heißt.
Sie war ein amerikanisches Wunderkind, geboren 1867 in Henniker, New Hampshire. Schon mit drei konnte sie lesen, mit vier – so berichten es diverse Biografien – komponierte sie erste kleine Stücke am und fürs Klavier. Mit 16 Jahren trat sie das erste Mal öffentlich auf. Am Klavier erhielt sie eine halbwegs profunde Ausbildung. Aber als Komponistin nie.
Als Autodidaktin "las" sie die Noten und studierte dabei die Musik von Bach, von Berlioz, Liszt und Busoni. Rund 150 Werke hat sie fürs Klavier hinterlassen, die schon zu Lebzeiten eine hohe Resonanz fanden, und das, obwohl sie eine Frau war. Sie war die erste Frau, die in Amerika noch vor 1900 eine Sinfonie zur Aufführung bringen konnte: 1896 spielte das Boston Symphony Orchestra ihre "Gälische Symphonie". Der Applaus war groß, als sie in diese Männerdomäne vordrang.
Konventionen nach der Heirat
Ihre Heirat verhinderte für die Dauer ihrer, wohlgemerkt glücklichen, Ehe eine rege Konzerttätigkeit. So waren die festgefahrenen Sitten der Zeit. Aber ihr Mann förderte weiterhin ihr Schreiben. Die Werke wurden auch gedruckt, allerdings unter seinem Vornamenskürzel H.H.A. Beach. Mehr über ihr aufregendes Leben kann man im aufschlussreichen Booklet erfahren.
Den Kontrast zeigen
Die Pianistin Martina Frezzotti hat für ihr aktuelles Album Werke aus verschiedenen Schaffensphasen der Komponistin herausgesucht: von der 25-jährigen Amy Beach ist etwas dabei, bis hin zum letzten Klavierwerk, das die Amerikanerin vorlegte. Damit eröffnet die Pianistin ihr Album. Denn eine chronologische Abfolge fand Frezzotti nicht interessant. Die interessanten Kontraste ihrer Musik wollte sie viel lieber zeigen.
Und so beginnt Frezzotti mit dem letzten Klavierwerk, das Amy Beach komponierte: Ein dicht gewebtes, mächtiges Werk, die Klavierumsetzung des Bußpsalmes De Profundis. In New York war Amy Beach als Witwe lange eine Art "Composer in Residence" einer freien Kirche.
Kleine Themen in großer Ausformung
Ebenso finden sich die Variationen über Balkanthemen auf dem Album. Vier kleine Motive sind der Keim des groß angelegten Opus 60, das 25 Minuten füllt. Amy Beach entwickelte hier ganz verschiedene Kolorierungen. Und der elegant geschmackvolle Anschlag von Frezzotti zieht den Hörer in diese spätromantische Welt. Ihr Spiel kann zupackend sein, dabei wird es nie zu mächtig, nie zu rau oder zu robust. Sie besitzt eine fesselnde, stilsichere Ästhetik, auch bei den eingängigen Passagen.
Zum eigenen Namen stehen
Das zweite große Werk des Albums ist das Opus 81: Präludium und Fuge aus dem Jahr 1912. Entstanden auf einer großen Konzertreise in Deutschland, in Garmisch. Frezzotti entdeckte, wie Amy Beach in ihrem Tagebuch davon schrieb, wie das massive Bergpanorama vor ihrem Hotelzimmerfenster sie inspirierte, ihr nächstes, großes Klavierwerk anzugehen.
Amy Beach war inzwischen Witwe und so frei, ihren eigenen Namen im Werk zu chiffrieren. Wie ihr Vorbild Franz Liszt, der einst die B-A-C-H-, also Bach-Variationen schrieb, formte sie ihr Hauptthema aus den Tönen A – wie Amy, und dann B-E-A-C-H, also Beach. Daraus formte sie eine fulminante Fugenkonstruktion, die aber auch zarte Saiten bereithält, wie Frezzotti klar und klangschön betont. Wie bei einem Ballettabend bemerkt man nicht, wie viel Kraft und Anstrengung dieses Werk Frezzotti abverlangt.
Zarte Miniaturen
Ergänzt wird das Album von kleinen, impressionistisch flimmernden Werken, zum Teil für Kinder geschrieben oder von eigenen Kindheitserinnerungen inspiriert. Die Drei Stücke op. 128 spielt Frezzotti mit am liebsten, sie erinnern sie an die musikalische, durchsichtige Welt von Maurice Ravel.
Martina Fezzotti teilt auf dem Album ihre Begeisterung für eine noch wenig bekannte Komponistin, die als Autodidaktin Hochkarätiges für Pianisten bereithält. Ohren auf für diesen Klanggenuss!
Cornelia de Reese, rbbKultur