Staatstheater Cottbus - "Endstation Sehnsucht" - Ballett von Martin Chaix
"Endstation Sehnsucht", das weltberühmte Theaterstück von Tennessee Williams, Anfang der 1950er verfilmt mit Vivien Leigh und dem jungen Marlon Brando, ist als Theaterstück und als Film ein Klassiker der Moderne. Diesen hat nun der französische Choreograf Martin Chaix in ein Ballettstück verwandelt. Am Sonnabend war Uraufführung seines Balletts am Staatstheater Cottbus.
Martin Chaix, früher selbst Ballett-Tänzer, seit 2016 auch Choreograf, hat sich in seiner Ballettfassung auf lediglich einen Aspekt des Stückes von Tennessee Williams konzentriert: bei ihm steht die Gewalt von Männern gegen Frauen, stehen toxische Beziehungen im Mittelpunkt.
Konzentration auf einen Aspekt des Theaterstücks
Das ist eine mögliche Interpretation, mit der allerdings auch einiges von der Rätselhaftigkeit und Vielschichtigkeit des Stückes verloren geht, auch die Figuren werden durch diese Interpretation etwas vereinfacht.
Die Figur der Blanche
In "Endstation Sehnsucht" geht es um Blanche, eine Südstaatenprinzessin, Tochter einer Südstaatendynastie, deren Familie mittlerweile verarmt ist und die einen sozialen Absturz erleben musste. Blanche reist mittellos zu ihrer jüngeren Schwester Stella und deren Ehemann Stanley nach New Orleans. Diese beiden lieben einander, sind aber in einer toxischen Gewaltehe gefangen. Stanley, Arbeiter und Einwanderer, verprügelt Stella und er wird später auch Blanche schlagen und vergewaltigen. Er wird Blanche zerstören - als eine Frau zerstören, die ein eigenes Leben führen will, die nach dem Tod ihres Ehemannes mehrere Liebhaber hatte und wegen einer Affäre mit einem minderjährigen Schüler aus dem Schuldienst entlassen wurde.
Die Figur der Blanche ist bei Tennessee Williams sehr vielschichtig: sie ist Trinkerin und Träumerin, ist Verführerin, Kämpferin und Gefangene ihrer sozialen Herkunft, sie ist leidenschaftlich, romantisch-versponnen und selbstbestimmt. Von diesem Facettenreichtum ist in dieser Ballettfassung wenig übrig – bei Martin Chax ist Blanche nur Träumerin und Opfer und Stanley nur Täter.
Schlüssige Fassung
Aber: gerade durch diese Reduktion ist diese Fassung schlüssig und Martin Chaix erzählt sie völlig stimmig in klaren und einfachen Bildern. Die Bühne sieht von Beginn an aus wie ein Krankenhaus in Grau, wie die Psychiatrie, in der Blanche am Ende landen wird. Alles erinnert an die 40er- und 50er Jahre, wobei die Kleider der Tänzerinnen und Tänzer in zig Graustufen gehalten sind und Blanche mit ihren Rosé- und Blautönen wie ein Farbtupfer im grauen Einerlei wirkt.
Swing, Jazz und Klassik des frühen 20. Jahrhunderts
Dazu gibt es Swing, Jazz und Klassik des frühen 20. Jahrhunderts, Billie Holiday und Ella Fitzgerald, ausschließlich Musik afroamerikanischer Komponistinnen und Komponisten, die allmählich wiederentdeckt werden: Florence Price, William Grant Still, George Walker - dramatische Orchester- und Kammermusik, passend zur dramatisch erzählten Ballett-Handlung.
Darstellung von Gewalt
Die Gewalt thematisiert Martin Chaix klar, direkt und schnörkellos: Ohrfeigen, Prügel, Vergewaltigung werden in Andeutungen, aber schonungslos gezeigt – der Abend ist nur für Menschen über 13 Jahren zugelassen.
Fernando Casanova ist als Macho Stanley ein Albtraum von einem aggressiven, besitzergreifenden Mann – woher diese Gewalt kommt, interessiert Chaix allerdings nicht. Kate Farley ist eine unschuldige, mädchenhafte Stella, die unter der Gewalt ihres Mannes leidet, aber dennoch immer wieder zu ihm zurückkehrt.
Und Alessandra Armorina gibt eine grandiose Vorstellung als Blanche, ist träumerisch, leidenschaftlich, widerständig und am Ende doch gebrochen – sie wurde vom Publikum zu Recht bejubelt und gefeiert.
Übrigens weiß Martin Chaix auch mit der schwulen Geschichte im Stück richtig umzugehen: Blanche ertappt ihren Ehemann im Stelldichein mit einem anderen Mann und Chaix zeigt das als zärtliche und ängstliche Liebe zweier Männer: sie küssen einander - Blanche ertappt sie – ihr Ehemann erschießt sich. Chaix zeigt das trocken und unsentimental.
Plausible, einleuchtende Umsetzung des Stoffes
Martin Chaix hat eine plausible, eingängige Umsetzung seiner Interpretation dieses Klassikers inszeniert, er hat eingängige Szenen und Bilder gefunden, sein Tanz, erzählerisch, psychologisch und emotional ist inspiriert vom Klassischen Ballett, von der Klassischen Moderne und vom Swing und transportiert den Inhalt der jeweiligen Szenen punktgenau, sein Stil ist etwas redundant, passt aber zu dem, was Chaix erzählen will.
Das Publikum hat die Tänzer und auch den Choreografen sehr lange gefeiert.
Abschied von Ballettdirektor Dirk Neumann
Somit war dieser Premierenabend ein rühmlicher Abschied für Dirk Neumann, Ballettdirektor am Staatstheater Cottbus. In der letzten Woche wurde bekannt, dass Dirk Neumann das Haus nach 19 Jahren verlässt – wie der Flurfunk berichtet, ein Abschied eher nicht in beiderseitigem Einvernehmen, aber das sind nur Gerüchte. Klar ist, dass das Staatstheater Cottbus Dirk Neumann extrem viel zu verdanken hat. Er hat das Ballett in Cottbus aufgebaut und aufrechterhalten, seiner Arbeit sind die Wiederanerkennung als eigene Sparte und die jüngst erfolgte Aufstockung des Ensembles zu verdanken. Ihm ist es gelungen, mit seiner Auswahl an Tänzern, Stücken und Choreografinnen und Choreografen die Interessen des Cottbusser Publikums zu treffen. Sein Abschied ist ein Verlust für das Staatstheater Cottbus.
Frank Schmid, rbbKultur