Staatsballett Berlin: William Forsythe © Yan Revazov
Yan Revazov
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Staatsballett Berlin - "William Forsythe" - Choreographien

Bewertung:

Christian Spuck, dem neuen Intendanten des Berliner Staatsballetts, ist es gelungen, mit William Forsythe einen Weltstar nach Berlin einzuladen. Forsythe, der seit den 80er Jahren mit dem Ballett Frankfurt und später mit seiner Forsythe-Company Tanzgeschichte geschrieben hat und der sich mit seinen jetzt 74 Jahren eigentlich schon von der Bühne zurückgezogen hatte, er hat nun drei seiner Choreografien mit dem Staatsballett einstudiert. Gestern war Premiere in der Deutschen Oper Berlin.

Dies ist eine der wichtigsten Abende für das Berliner Staatsballett seit Jahren und für Christian Spuck ohnehin. Immerhin hat William Forsythe selbst zwei berühmte Meisterwerke und einen Publikumsrenner mit dem Staatsballett neu einstudiert, drei Stücke, die erkennen lassen, warum er als einer DER Revolutionäre und Neuerfinder des Balletts gilt.

Staatsballett Berlin: William Forsythe © Yan Revazov
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Herumflippern zwischen großen Metalltischen

Zu sehen ist das zum Beispiel bei seinem Stück "One Flat Thing, reproduced" aus dem Jahr 2000. Hier lässt Forsythe 20 Tänzerinnen und Tänzer auf und über und unter und zwischen 20 großen Metalltischen herumwirbeln. Diese stehen in Reih und Glied und die Tänzer tollen, toben, flippern in extrem hohem Tempo zu hektisch-flatteriger Elektro-Musik von Forsythes Hauskomponisten Thom Willems, die zu Industrial Noise hochdonnert.

Wie kann ein rasender, stilistisch höchst anspruchsvoller Tanz unter derart beengten Verhältnissen stattfinden und wie vermeintliches Chaos in sehr statischer Ordnung aussehen – das sind zwei Fragen für dieses Stück. Wobei die einzelnen Bewegungen strengen Mustern und Formationen folgen und dennoch freizügig und spontan wirken. Es ist faszinierend, wie die Tänzer die hochkomplexen Figuren, Formen und Muster in Höchsttempo zeigen.

Forsythe-Tanz in Reinkultur

Forsythe-Tanz in Reinkultur ist in "Approximate Sonata 2016" zu sehen, dem Stück ursprünglich aus dem Jahr 1996, Forsythe hat dem Staatsballett die revidierte Fassung von 2016 überlassen. Diese Choreografie ist ein Meisterwerk der Formstrenge in Duett-Struktur und mit dem berühmt gewordenen Forsythe-Tanzstil: abstrakt und geometrisch klar, die Körperachsen und Glieder in geraden Linien ausgerichtet mit extremem Aussteifen, Verkanten, Verwinkeln der Glieder bei sehr hohem Tempo. Arme und Beine schneiden und stechen in den Raum, die Körper wirken wie scharfe Silhouetten, wie schraffiert. Und das zur Musik von Forsythes Hauskomponisten Thom Willems, die hier elektronisch tröpfelt, blubbert und rumpelt.

Dieses Stück wirkt auch heute noch wie eine frische Brise, die einem durchs februarmüde Gehirn fegt, alles mal durchpustet und alle Ablagerungen fortweht – es ist ein Vergnügen, diese Schärfe, Präzision und Klarheit zu sehen.

Auseinandersetzung mit dem Klassischen Ballett

Im dritten Stück des Abends, "Blake Works I", 2016 für das Ballett der Pariser Oper entstanden, zeigt Forsythe demonstrativ seine Auseinandersetzung mit dem Klassischen Ballett. Er hat seinen Tanzstil zwar immer schon vom Ballett ausgehend entwickelt, indem er das Tanzvokabular auseinandergenommen und neu zusammengesetzt hat, aber in diesem Stück macht er diese Herkunft sehr deutlich, indem er das Ballett zitiert und dann auflöst in koketten Hüftschwüngen, in Hopsen, Hüpfen, Po-Rausstrecken bis hin zu Showtanz und Vogueing.

Diese Choreografie zu melodramatischer Popmusik von James Blake hat auch etwas Gefälliges, will Spaß machen, will witzig, kurios, manchmal auch albern sein und die Tänzer des Staatsballetts haben sichtbar große Freude daran, darunter auch Gaststar Polina Semionova, die eine blendende Vorstellung abliefert.

Staatsballett Berlin: William Forsythe © Yan Revazov
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Tänzerinnen und Tänzer in hervorragender Verfassung

Die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts zeigen sich insgesamt in hervorragender Verfassung. Es ist zwar zu sehen, dass sie keine Forsythe-Spezialisten sind - dass sie das Niveau der Tänzer seiner früheren Compagnien erreichen, war ohnehin unwahrscheinlich und wäre auch zu viel verlangt – aber sie haben den Forsythe-Tanz sehr gut präsentiert, einige kleinere Ungenauigkeiten sind absolut verzeihbar. Das Konzept der Tänzer-Auswahl von Christian Spuck scheint aufzugehen: Flexibilität ist das Maß aller Dinge, die Fähigkeit v.a. der vielen neuen Tänzer sehr verschiedene Stile zu beherrschen.

Standing Ovations für Forsythe und die Tänzer

Das Publikum hat die Tänzerinnen und Tänzer immer wieder bejubelt, schon vor der Pause gab es Standing Ovations und als am Ende William Forsythe selbst auf die Bühne gekommen ist, war beim Jubeln kein Halten mehr.

Da ist auch okay so. Berlin hat jetzt einen Abend mit Werken eines der bedeutendsten Choreografen der jüngeren Tanzgeschichte, der auch noch so liebenswürdig war, dem Staatsballett eine große Zukunft zu versprechen. Es könne das führende Ballett-Ensemble nicht nur in Deutschland werden, so Forsythe. So weit ist das Staatsballett noch lange nicht, aber der neue Staatsballett-Intendant Christian Spuck hat sich auf einen sehr vielversprechenden Weg gemacht. Dieser Forsythe-Abend dürfte ein weiterer Publikumserfolg für das Staatsballett werden.

Frank Schmid, rbbKultur