Christiane Barz u. Michael Bienert: Das Romanische Café im Berlin der 1920er Jahre © Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb)
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Buch-Neuerscheinung - "Das Romanische Café im Berlin der 1920er Jahre"

Das Romanische Café in Berlin war legendär. Hier trafen sich Künstler, Journalisten und Intellektuelle, "die Nationalversammlung der deutschen Intelligenz", wie es Curt Moreck 1931 formulierte. Die Ausstellung "Das Romanische Café im Berlin der 1920er Jahre" im Europa-Center wurde wegen des großen Interesses gerade um ein halbes Jahr bis Ende Januar verlängert. Über das gleichnamige Buch dazu spricht Susanne Papawassiliu im radio3-Studio mit dem Autor und Ausstellungsmacher Michael Bienert und der Herausgeberin Katja Baumeister-Frenzel.

radio3: Die Ausstellung ist mitten in der Shoppingzone Europa Center. Das hat überraschenderweise so gut funktioniert, dass die Ausstellung bis Januar verlängert worden ist. Im Juni sollte sie eigentlich vorbei sein. Hat es Sie auch überrascht, dass das so gut funktioniert?

Katja Baumeister-Frenzel: Eigentlich hat es uns gar nicht überrascht, dass die Ausstellung so fasziniert und so viele Besucher anzieht. Denn in der Vorarbeit und im Vorfeld zur Ausstellung haben wir so viel positive Rückmeldung bekommen. Jeder, dem wir davon erzählt haben, hat gleich gesagt: wann, wo kann ich hinkommen?

Das Europa Center ist der Nachfolgebau für das Romanische Haus 2, was in den 20er Jahren dort stand und wo das Romanische Café im Erdgeschoss zu Hause war. Das ist also der Originalschauplatz. Es ist ganz wichtig für unsere Besucher, diesen Aha-Moment zu haben: ich bin genau dort, wo damals alles stattgefunden hat. Also ist es ganz toll, dass wir im Europa Center sind.

radio3: Michael Bienert, können Sie in ein paar Worten beschreiben, was das Romanische Café ist? Es wird gesagt: da haben sich die Intellektuellen getroffen, die Bohème. Wer ist da alles ein- und ausgegangen, was war das für ein besonderes Café?

Michael Bienert: Es war zunächst einmal ein riesiger Raum, ein riesiges Kaffeehaus, das nicht exklusiv war. Wo auch die Mädchen, die am Tauentzien auf den Strich gegangen sind, saßen – und dazwischen saßen eben Albert Einstein und Arnold Schönberg und viele Schriftsteller, die wir noch kennen, an Stammtischen in informellen Strukturen. Es gab jiddische Publizisten, Dichter, die sich da regelmäßig getroffen haben. Es war eigentlich der wichtigste Künstlertreffpunkt dieser Art im Neuen Westen, in Deutschland, in den 20er Jahren bis etwa 1933.

radio3: Sie haben wahnsinnig viele Dinge zusammengetragen. Wie schwierig war es, diese ganzen Postkarten und dergleichen zu finden, um einen richtigen, nachvollziehbaren Eindruck zu schaffen?

Baumeister-Frenzel: Besonders die Postkarten sind eigentlich gar nicht so schwer zu besorgen. Das war das Instagram der damaligen Zeit, jede Ecke wurde mehrmals fotografiert. Einige Dinge waren natürlich schwerer herauszufinden. Manche Dinge sind einfach Zufallsfunde. Wir haben unser gesamtes Netzwerk angeschwungen und einige Dinge sind an uns zurückgekommen: Mensch, ihr recherchiert doch gerade. Ich habe hier noch das, ich habe da noch das. Manchmal sucht man einfach im Internet und hat plötzlich einen Zufallsfund – oder man geht ganz gezielt in die Archive und lässt sich alles vorlegen, was mit der Adresse und dem Ort irgendwie zu tun hat und findet dann die Dinge, auf die wir gestoßen sind.

Bienert: Ja, also viele Dinge! Dieses Buch hat 185 Abbildungen. Die sind in dem Zusammenhang mit dem Romanischen Café überhaupt noch nicht gezeigt worden, das sind Zufallsfunde. Einer unserer Kuratoren hat einer Freundin von dem Projekt erzählt. Dann sagte sie: Moment mal, bei meiner Mutter hängt doch noch ein Gemälde aus dem Romanischen Café oder eins, das es zeigt, über dem Esstisch. Das ist eine Spur, der wir nachgegangen sind und dann haben wir – auf dem Cover ist das zu sehen – ein wunderbares farbiges Gemälde von dem Künstler Ulrich Neujahr, und auch noch andere Arbeiten, die dieses Lokal aus verschiedenen Perspektiven zeigen. Das macht natürlich die Arbeit, auch die längere Arbeit an so einem Projekt sehr, sehr spannend. Es tauchen immer neue Dinge auf, die sich immer neu vernetzen. Und das haben wir versucht, in der Ausstellung und in dem Buch zu zeigen.

radio3: Es gibt einen schönen Auszug aus dem Berliner Tageblatt von 1924. Da wird beschrieben, dass an Samstagen und Sonntagen die Spießer das Romanische Café besuchen. Sie wollen sich die Bohème ansehen, von der sie manches gelesen und gehört haben. Kann man sich vorstellen, dass sich das Publikum im Café gemischt hat?

Baumeister-Frenzel: Ja, auf jeden Fall hat es sich gemischt. Es war ein öffentliches Café, jeder konnte dahin. Es war recht groß, sodass auch viele Leute Platz gefunden haben. Es war zu irgendeinem Zeitpunkt dann auch so bekannt, dass es in den Reiseführern stand und die Touristen dahin gegangen sind. Aber es war offen für jeden, jeder konnte dahin. Die Spießer hatten wahrscheinlich erst am Wochenende Zeit dafür. Die mussten unter der Woche arbeiten. Es gab eine informelle Unterteilung in das Schwimmerbecken und das Nichtschwimmerbecken. Die Nichtschwimmer waren die Nicht-VIPs und im Schwimmerbecken saßen dann die Leute, die da ihrer Arbeit nachgingen. Das war auch räumlich getrennt.

radio3: Es gab zwei Versuche, das Romanische Café neu erstehen zu lassen. Das hat nicht geklappt, einmal 1965 und einmal 2014. Woran liegt das? Ist diese Zeit vorbei?

Baumeister-Frenzel: Nein, man kann so etwas nicht zurückholen. Das ist ein Zeitmomentum, da kommen so viele Komponenten zusammen. So etwas kann man, glaube ich, nicht künstlich aus der Wiege heben. Auch in der Vorbereitung zur Ausstellung haben alle gesagt: biete dann einen Kaffee an und dann wird das genauso wie damals – so ist es nicht. Wir haben eine wunderbare Ausstellung, in der man auch so ein bisschen nostalgisch schwärmen kann und sich viele Fakten darüber anlesen kann, wer damals da war, was dort gemacht worden ist, wie es damals gemacht worden ist. Aber man kann sowas nicht neu ins Leben rufen.

Vor allen Dingen leben wir in einer völlig anderen, digitalen Zeit mit ganz anderen Kommunikationsmöglichkeiten, die auch fantastisch sind, denn man muss nicht mehr vor Ort sein. Jetzt werden andere Räume bespielt und nicht mehr die alten Kaffeehäuser.

radio3: "Das Romanische Café in Berlin der 1920er Jahre" ist im Verlag VBB erschienen, frisch auf dem Markt und die Ausstellung im Europa Center läuft noch bis Ende Januar nächsten Jahres. Sind Sie ab und zu dort und können noch das eine oder andere erzählen?

Baumeister-Frenzel: Ja, auf jeden Fall. Auf unserem Veranstaltungsprogramm auf der Webseite kann man Kuratoren-Führungen buchen, die machen wir abwechselnd. Da haben wir ganz viele interessante Stories, die weder in der Ausstellung noch im Buch sind, zu erzählen.

Das Gespräch führte Susanne Papawassiliu, radio3. Es handelt sich um eine redigierte Fassung.

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